: Die Heimatlosigkeit der Bastler
■ Es war einmal in Bremen: die „passiert“-Reihe wurde jetzt im kleinen Kreise bestattet
Zwanzigmal ist es „passiert“. Jetzt ist die eigenwillige kleine grenzüberschreitende Kunstreihe des Künstlerhauses passé, wurde als eines der schwächsten Glieder im Bremer Kulturreigen vom finanziellen Hungertod niedergestreckt. Die Selektion a la Darwin bevorzugt nun mal Geschöpfe in Tarnkleidung. „Passiert“aber war buntscheckig wie ein Papagei. Der fliegt jetzt nicht mehr. Die Reihe von goldenen, blauen, roten, grünen Einladungskarten aus vier Jahren, die Gustav Gisiger in sentimentaler Anwandlung in seinem Atelier aufgehängt hat, ist damit beendet. Ein postmodernes Stück Kulturgeschichte, fragmentarisch zerrupft, ohne richtiges Ende.
Halt, schreit der aufmerksame Leser. Wer ist Gustav Gisiger? Tja, was läßt sich dazu sagen? Wuschelhaare hat er, teilergraut. Seele? Vermutlich auch wuschlig-teilergraut. Eigentlich wollte er Filmregisseur werden, bestand dann aber versehentlich (nein, wir sind nicht in Sönke Wortmanns „Kleine Haie“) die Aufnahmeprüfung der Züricher Schauspielschule und wurde dann nach Mannheim verschlagen. In Bremen arbeitet er von 1978-81 als Regieassistent. Was danach kam, fand im leeren Raum außerhalb aller Institutionen statt: Straßentheater im Ruhrpott, Schiffskorso auf der Breminale, Theater in der Bremer Vulkanwerft.
Dieser Mensch ist es, der für einen Jahresetat von 30.000 Mark fünf Mal pro Jahr zwei bis fünf Menschen aus möglichst verschiedenen Kunstecken zwei Wochen lang zusammenbrachte, um zwischen Tanztheater und Performance neue, namenlose Kunstgattungen zu entdecken.
Das Knistern dieser Energiefusionen soll jeweils von 120 BremerInnen begutachtet worden sein. Verschlungen wie Gisigers Lebenslauf war seine Einladungsstrategie. Ein schräger Mensch lernt eben leichter andere schräge Menschen kennen, als ein gut bezahlter Museumskurator.
Als Kaddish zeigte Gisiger kürzlich im grottenblau beleuchteten „Projektraum“einen Videozusammenschnitt der zehn besten Projekte. Ein tief beeindruckendes Erlebnis, besonders in Kombination mit dem umsonst ausgeschütteten Prosecco. Viele wahnsinnige Daniel Düsentriebs waren unter den Gästen. Zum Beispiel Gabriele Amadori. Der setzte sich ein Theater abstrakter Formen in den Kopf, eine Art animierten Kandinski, und baute mit der Besessenheit eines Überzeugungsheimwerkers eine riesige Illusionsmaschine. Zu Franco Donatonis Avantgardimusik glimmte dann ein Unterwasserballett von seltsamen Amöben auf einer Projektionswand. Einfach wunderschön.
Auch andere „passiert“-PassantInnen vergingen sich an gebräuchlichen Apparaturen mit frankensteinschen Energien. Kirchenorganist Erwin Stache ließ dubiose Klangmaschinen zum Klavierspiel knurren und japsen, verspielte Filmemacher konstruierten vogelwilde Gerätschaften, die die Zelluloidbilder nur höchst eingeschränkt zum Laufen brachten. Helge Leiberg macht ganz normale gute jung-wilde Malerei. Wenn er aber am Overhead-Projektor mitten ins Licht malt, dann outet er sich als wahres Vorstellungs-Genie. In wenigen Sekunden verwandeln sich Frauen in Monster und wieder zurück – wie im richtigen Leben.
Keine Frage, in den letzten vier Jahren sind in den weißen, Industriecharme versprühenden Räumen höchst mysteriöse Dinge vor sich gegangen, die sich ein Museum mit Sparetat kaum mehr leisten kann. Von manchen Zeitzeugen der „passiert“-Reihe wird zwar von der einen oder anderen mittelmäßigen Aktion berichtet. Daß sich hier ein Rest dieser immer rareren Hier-tut-sich-was-Aufbruchsstimmung hielt, ist aber unbezahlbar. Wenn die Eindrücke des Videofilms nicht täuschen, dann ist das Ausbremsen von „passiert“eine grobe Fehlentscheidung. Wenigstens ist der Videozusammenschnitt eine schöne Blume für das Grab. Und trotzdem geht Gisiger keineswegs hin in Frieden. Er grollt. Barbara Kern
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