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Der diskrete Charme der heutigen DDR-Forschung

An der Freien Universität Berlin eskaliert der Streit um den „Forschungsverbund SED-Staat“ erneut  ■ Aus Berlin Ralph Bollmann

Klaus Schroeder gefällt sich in der Opferrolle. „Das sind keine Lausbubenstreiche mehr“, sagt der Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat an der Freien Universität (FU) Berlin, „da hört der Spaß auf!“ Anstoß nimmt Schroeder an einer „Informationsveranstaltung“ des FU-AStA, der dem Forschungsverbund vorwirft, der Totalitarismustheorie zu einer Renaissance zu verhelfen. Die SED- Forscher setzten die Verbrechen des Staatssozialismus „mit dem einzigartigen Vernichtungswillen des Nationalsozialismus“ gleich, um so „mögliche Reste eines Post- Auschwitz-Bewußtseins“ zu verdrängen.

Sie instrumentalisierten ihre DDR-Forschung, um den Nationalsozialismus zu relativieren. Schroeder kehrt den Instrumentalisierungs-Vorwurf gegen seine Urheber. „Stil und Inhalt der Veranstaltung erinnern an Vorgehensweisen der SED, Kritiker des realen Sozialismus als ,Faschisten‘ zu diffamieren, um die SED-Diktatur als antifaschistisch zu rechtfertigen“, erklärt er. Weil bei der jüngst stattgefundenen Dikussion auch der PDS-Abgeordnete Uwe-Jens Heuer auf dem Podium saß, wittert Schroeder eine „PDS-Kampagne“.

Doch sah sich Heuer in der Diskussion weitgehend isoliert. In seiner Generalkritik der gesamten DDR-Aufarbeitung mochten die beiden anderen Diskutanten, die Historiker Wolfgang Wippermann und Peter Steinbach, nicht einstimmen. Sie konzentrierten sich auf handfeste Kritik am Forschungsverbund, der nach ihrer Ansicht eher Geschichtspolitik als Wissenschaft betreibt. „Finden – scannen – faxen“, so beschrieb Wippermann die Methode des Verbunds, Stasi-Akten zur Diffamierung politischer Gegner an die Medien weiterzureichen.

Steinbach war eines seiner Ziele. Im vergangenen Jahr hatte Schroeder gemeinsam mit seinem Kollegen Jochen Staadt den Vorwurf erhoben, Steinbach habe als Leiter der Berliner „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ in der dortigen Ausstellung „zwar die KPD- Führer in der Moskauer Emigration in Wort und Bild gewürdigt“, spätere DDR-Oppositionelle wie Robert Havemann aber unterschlagen. Havemann sei sehr wohl vertreten, entgegnete Steinbach, „ich kann ja nichts dafür, wenn die Leute nicht richtig hinschauen“. Es sei „doch klar, was ich den ganzen Tag in der Gedenkstätte mache: Ich arbeite an der 27 Meter hohen Holzskulptur von Walter Ulbricht“.

Mit diffamierenden Vorwürfen ist der Forschungsverbund seit seiner Gründung 1992 immer wieder hervorgetreten. Die Dokumente, mit denen Staadt etwa die SED- Unterwanderung der FU belegen wollte, beweisen nach Ansicht Steinbachs nur eine versuchte Einflußnahme. Damit sei „noch lange nicht gesagt, daß diese Beeinflussungsversuche erfolgreich waren“. Zwar hätten weniger prominente Mitglieder des Verbunds „immer wieder seriöse Studien vorgelegt“, doch würden in den polemischen Beiträgen von Schroeder und Staadt „Zitate verstümmelt, aus Kontexten gerissen und in polemischer Absicht kompiliert“.

Immer wieder werfen Schroeder und Staadt der bundesdeutschen DDR-Forschung vor, sie sei vor 1989 dem „diskreten Charme des Status quo“ erlegen und habe „aus politischen Erwägungen ein entspannteres DDR-Bild in die bundesdeutsche Welt gesetzt, als es der Wirklichkeit entsprach“. Inzwischen ergreifen aber auch Wissenschaftler gegen den Forschungsverbund Partei, die von den Vorwürfen ausgespart blieben. So warf der Mannheimer Historiker Hermann Weber den Forschern „politisch motivierte Rundumschläge gegen andere Historiker“ vor. Bei den Vorwürfen spielten vor allem „außerwissenschaftliche Faktoren, wie etwa Verteilungskämpfe, eine Rolle“.

Tatsächlich spielen die Initiatoren des Forschungsverbunds, die in den 70er Jahren in linken Splittergruppen organisiert waren, seit den 80er Jahren als Mittelbau-Vertreter eine Schlüsselrolle in den FU-Gremien, wo sie konservativen wie linksliberalen Uni-Präsidenten als Mehrheitsbeschaffer dienten. Zum anderen sind konservative Wissenschaftler und Politiker mit dem Umbau der ostdeutschen Geschichtswissenschaft seit der Vereinigung alles andere als zufrieden. Die heftige Kritik von Staadt und Schroeder an den „SPD-Historikern“ tröstet sie über wissenschaftliche Defizite des Forschungsverbunds hinweg.

Immerhin hat die anhaltende Kritik den FU-Präsidenten dazu gezwungen, vor der Verlängerung den Forschungsverbund von auswärtigen Gutachtern bewerten zu lassen. Aufschlußreicher als deren zaghafter Tadel ist das, was die Gutachter loben. Sie werten es als ein Zeichen „hoher organisatorischer Leistungskraft“, daß der Verbund „die redaktionellen und lektoralen (z. T. auch vertriebstechnischen) Leistungen selbst erbracht hat“. Bislang galt es eher nicht als Beleg für die Relevanz wissenschaftlicher Studien, daß sie im Selbstverlag erscheinen.

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