Wachstum im Bio-Web

Naturkostproduzenten und Umweltschutzorganisationen haben ihre Abneigung gegen den Computer überwunden: Sie gehen ins Internet

Aus hundert Prozent naturreiner Baumwolle ist es nicht, das Netz der Netze. Eher muß man mit Kupferdraht und Glasfasern rechnen, mit elektromagnetischen Wellen und einer energiefressend produzierten Hardware, die regelmäßig als Sondermüll endet. Lange Zeit galten die Öko-Szene und die Computerfreaks deshalb als unüberwindliche Gegensätze.

Doch inzwischen sind sie eine versöhnliche Symbiose eingegangen. Vor allem das Internet wird von vielen als ökologische Errungenschaft angesehen. Die „Fairtrade-Börse“ zum Beispiel meint, daß „Tausende von Tonnen Papier“ gespart werden könnten, wenn das elektronische Medium „diese unsinnige Papierverschwendung sobald wie möglich überflüssig macht“. Fairtrade ist in der Öko-Suchmaschine des Umweltverlages Altrop vertreten, der seit zehn Jahren für sein „Alternatives Branchenbuch“ bekannt ist (www.oneworld.de).

Der reine ökologische Nutzen ist aber nicht immer das wichtigste Motiv für den grünen Marsch ins Internet. Die eigene Homepage muß das Image aufpolieren, das zu verblassen droht. „Wir wollen mit unserem Internet-Auftritt zeigen, daß wir mit der Zeit gehen. Denn der Naturkostbereich hat ja bei vielen ein etwas angestaubtes Image“, sagt Alice Fridum, Vertriebsleiterin beim Naturkostproduzenten Allos (www.allos.de). Heute müsse man „multimedial präsent“ sein, findet sie – auch als Öko-JüngerIn.

In das gleiche Horn bläst ihr Kollege von der Brunner GmbH (www.solar.de), einem Unternehmen, das unter dem Motto „Heizen auf bayerisch“ auf die regenerativen Energiequellen Sonne und Holz setzt. Sonnenkollektoren auf dem Dach und ein elektronisch geregelter Kachelofen versorgen das ganze Haus mit Warmwasser und Heizwärme. „Wir sind ein modernes, junges und innovatives Team. Das wollen wir auch dadurch deutlich machen, daß wir in den neuen Medien präsent sind“, begründet Jürgen Vorwerk, Leiter der EDV- Abteilung bei Brunner, die Internet-Präsentation. „Außerdem ist das Netz eine wunderbare Plattform für Werbung. Jeden Tag erhalten wir vier bis sechs ganz konkrete Anfragen von Leuten, die bauen wollen.“ Die Tendenz sei „steigend“.

Fast ausschließlich den Werbeaspekt hat Ursula Stübler von der Marketing-Abteilung des Kölner Naturkostgroßhandels Heuschrecke GmbH (www.heu schrecke.com) vor Augen. Die Homepage soll Websurfer auf Heuschrecke-Produkte aufmerksam machen. „Sie sollen dann zu den Naturkostläden bei sich um die Ecke gehen und sich dort unsere Produkte kaufen.“ Daher ist es bei den Heuschrecken auch nicht möglich, online einzukaufen.

Da bietet die Gemüsekiste von Matthias Goettel und Sabine Wächter (www.gemuesekiste.de) schon einen viel interessanteren Service. Hier läßt sich ein reichhaltiges Gemüsepaket aus regionalem Anbau und direkt vom Erzeuger zusammenstellen. Wer will, braucht nur zu den auf den Webseiten aufgeführten Anbieter von „Abokisten“ Kontakt aufzunehmen. Zwar sind noch nicht für alle Regionen in Deutschland Adressen vorhanden, aber Goettel setzt angesichts der etwa 3.000 Websurfer, die jede Woche die Gemüsekiste anklicken, auf Wachstum: „Ich denke, daß das Internet nicht nur global operierenden Unternehmen einen Vorteil bringen kann, sondern auch lokal ansässigen Kleinunternehmen. Wir wollen die Gemüsekisten-Anbieter auf dem Weg ins Informationszeitalter mit einem kostenlosen Eintrag in unser Verzeichnis begleiten und so den Grundstein für Online-Bestellmöglichkeiten bieten.“

Dabei hatte die Naturkostbewegung ganz anders begonnen. Mit Demos, Aufbegehren gegen verkrustete bürgerliche Strukturen und der Sehnsucht nach einer friedlichen, sanften und „heilen“ Welt. So beschreibt es Wolfgang Kurtz auf seinen Nature Pages (www.kpunkt.com/nature). Die Seiten seiner Öko-Werbeagentur bieten kurz und witzig einen Überblick über die Geschichte der Naturkost, beginnend bei der „biologisch-dynamischen“ Landwirtschaft (www.demeter.de) über die „organisch-biologische“ Richtung (www.bioland.de) bis zu den heute stattfindenden BIOFACH- Messen (www.biofach.de). Neben dem direkten E-Mail-Kontakt zu einer ganzen Reihe von Naturkosthändlern und einem Gemüsekalender für das richtige Essen zur richtigen Zeit zeigt Kurtz aber auch, daß Naturkost nicht immer nur schrottrocken daherkommen muß. Auf einer der hinteren Seiten läßt ein junges Gemüse bei einem Striptease gänzlich alle Hüllen fallen (www.kpunkt.com/nature/ sex3.htm).

Matthias Baerens, Projektleiter für Neue Medien beim Umweltschutzverband Grüne Liga, kann mit solchen Spielereien wenig anfangen. Er will informieren und organisieren. „Wenn jemand auf die Seiten der Grünen Liga klickt“, sagt er, „will er keinen Firlefanz haben, der nur unnötig Zeit beim Downloaden benötigt. Es geht darum, Informationen zu vermitteln. Deswegen sind unsere Seiten auch bewußt nüchtern gestaltet.“ Seit Herbst 1996 ist die Grüne Liga mit eigenen Webseiten im Netz vertreten. Für Baerens eine Außendarstellung, die auch für einen Umweltschutzverband der heutigen Zeit angemessen ist. Gleichzeitig geht es ihm darum, die interne Kommunikation zwischen einzelnen Landesverbänden, Facharbeitskreisen und Mitgliedern im Verein zu verbessern. Fast alle Büros der Naturschützer sind heute per E-Mail erreichbar. Das Netz hat die Arbeit verändert und erleichtert. Baerens beschreibt, wie problemlos es mittlerweile geworden sei, Texte ohne großen Zeitverlust zwischen verschiedenen Büros abzustimmen.

Angesprochen auf die immer wieder diskutierten ökologischen Probleme, die das Computerzeitalter mit sich bringt, antwortet Baerens: „Computer sind heute Teil der Arbeit, genau wie ein Kugelschreiber. Außerdem sind die Leute von der Grünen Liga keine hammerharte Müsli-Gang, die in jedem High-Tech-Gerät gleich ein Teufelswerkzeug sieht. Aber wir achten darauf, daß unsere Geräte problemlos zu erweitern und von guter Qualität sind. Dann landen sie auch nicht so schnell auf dem Schrottplatz.“

Erst im September 1997 hat sich der Dachverband der Umweltschutzverbände, der Deutsche Naturschutzring (DNR), entschlossen, mit eigenen Webseiten im Netz präsent zu sein (www.dnr.de). Auch der DNR besticht durch Nüchternheit. Wenn das Logo nicht wäre, würde der Surfer in dieser Wüste von Buchstaben vergeblich nach Wellen suchen, auf denen er reiten kann. Dennoch beurteilt Doris Pruin, Büroleiterin des Naturschutzrings in Bonn, die bisherige Resonanz auf die Anwesenheit im Internet positiv: „Als Dachverband muß man in den neuen Medien präsent sein. Mit diesem Angebot können wir zum einen gute Öffentlichkeitsarbeit machen, und zum anderen bietet es Interessierten eine hervorragende Möglichkeit, sich mit Informationen einzudecken.“

So puritanisch wollen die über hundert Seiten von Greenpeace nicht sein. Zu gut wissen die Regenbogenkrieger, was sie den Massenmedien verdanken. Reich und bunt bebildert, sollen ihre Online- Informationen auch die Schaulust befriedigen.

Für Norbert Schnorbach, Leiter der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit bei Greenpeace in Deutschland, ein vernünftiges Konzept: „Greenpeace ist eine Organisation, die von Bildern geprägt ist. Denn Bilder spielen für die Lebendigkeit unserer Aktionen eine große Rolle. Und unsere Medienarbeit ist ja auch seit vielen Jahren genau auf diese Stärke aufgebaut. Das findet sich im Internet wieder.“ Als „elektronisches Junk food“ will Schnorbach das aber nicht verstanden wissen. Meldungen über Umweltschutzthemen werden bei Greenpeace mit großem Aufwand redaktionell bearbeitet. Journalistische Schmalspurarbeit können und wollen sich die Umweltschützer nicht leisten. Statt dessen wird viel Wert auf ausführliche und fundierte Hintergrundinformationen gelegt.

Aber auch die ökologischen Vorzüge des Datenverkehrs kommen nicht zu kurz: „Wir überlegen zur Zeit, ob wir unsere Förderer- Zeitschrift auch auf elektronischem Wege anbieten. Bisher läuft das auf Papier und per Post. Das können wir ressourcenschonender via Internet machen.“

Vielleicht ist ja auch das Szene- Magazin „Schrot & Korn“ (www .naturkost.de) dann eines Tages nur noch im virtuellen Naturkostladen erhältlich. Walter Jungbauer

Jungbauer@journalismus.com