Wenn sich die Jugend der Welt zur Feier Olympias versammelt, haben die einsamen Asketen von der Loipe keine Chance mehr. Die Helden stehen schon vorher fest. Ihre Bilder erzählen nicht länger von Askese und Folklore, sondern künden von der

Wenn sich die Jugend der Welt zur Feier Olympias versammelt, haben die einsamen Asketen von der Loipe keine Chance mehr. Die Helden stehen schon vorher fest. Ihre Bilder erzählen nicht länger von Askese und Folklore, sondern künden von der Erotik der Körper – und des Geldes

Nackte Tatsachen aus Nagano

Während die Olympischen Sommerspiele mit ihren klassischen Disziplinen wie Diskus- und Speerwerfen aus der Zeit, nämlich der Antike, kommen, stammen die Winterspiele aus der bergländischen Provinz. Ski- und Schlittenfahren sind die Vorbilder jener seltsamen körperlichen Verausgabungen bei Minustemperaturen, in denen der Sportlerkörper für das Begehren der Zuschauer lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle spielte. Die Erotik des Wintersports beschränkte sich lange allenfalls auf schlüpfrige Phantasien von Skihaserl'n in einsamen Berghütten.

In seinen Anfangszeiten bevorzugte das Fernsehen, vom Eiskunstlauf einmal abgesehen, vermummte Gestalten, eingehüllt in dicke Strickpullover und weiten Hosen. Wenn sie Gesichtshaut zeigten, klebten Eiszapfen am Bart. Die Erotik des Wintersports folgte einer Bergidylle aus Askese und Verzicht. Der einsame Mann am Berg, so der Psychologe und passionierte Bergsteiger Ulrich Aufmuth, strebte bei seinen Körperanstrengungen nach einer wunderbar sauberen Form von Erotik. Der Berg ruft, und sein Echo sind Grenzüberschreitungen zwischen Eros und Tod.

Die Bilder aus Nagano zeigen in diesen Tagen eine völlig andere Art von Körperrepräsentation, auch wenn die eher spröde Katja Seizinger nur selten ihre Kopfbedeckung abnimmt, um sich das Vorzeigen des Sponsorenemblems nicht entgehen zu lassen. Während die deutschen Skimädchen von Hilde Gerg bis Martina Ertl noch einem Schulmädchen-Report aus den siebziger Jahren entsprungen zu sein scheinen, wird die olympische Szene inzwischen von Frauen wie Franziska Schenk beherrscht. Sie sind einerseits in Plastikanzüge gegossene Kunstkörper, die als reine Form allerlei erotische Phantasien evozieren. Eisschnellauf ist nicht weniger sexy als Eiskunstlauf, und das hat vermutlich kaum etwas damit zu tun, daß Franziska Schenk sich im olympischen Vorfeld mit Farbe auf nackter Haut bemalt abbilden ließ.

Die erotisierten Körper dieser Winterspiele sind denn übrigens keineswegs nur Frauenkörper auf Schlittschuhen. Der begehrliche, nichtschwule Blick kann auch auf männliche Rodler fallen, die in passiver Haltung auf ihrem Schlitten im Eiskanal verharren.

Anderseits sind die neuen Olympiaheldinnen selbstbewußte, emanzipierte Frauen, denen man ohne Umschweife zutraut, daß sie ihre aufwendigen Werbeaktivitäten für Milka und andere nach getaner Sportarbeit selbst regulieren. Der erotisierte weibliche Sportlerkörper ist keineswegs bloß das Objekt männlicher Begierde, der von greisen Punktrichtern benotet wird. Die Zeiten des alten Olympia, zu dem betagte Funktionäre die Jugend der Welt versammelten, sind vorbei.

Ein Rest davon mag zwar auch die Eiskunstlaufwettbewerbe in Nagano noch bestimmen, doch spätestens seit Kati Witt sind die männlichen Inszenierungs- und Formungsphantasien junger Mädchenkörper empfindlich gestört.

In den sechziger Jahren beschlich angesichts gleich langer Haarpracht bei Männern und Frauen die bürgerliche Öffentlichkeit die Angst, daß die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu verschwinden drohen. Nimmt man die Olympischen Spiele als Lesegerät für ikonographische Prozesse, so kann diesbezüglich Entwarnung gegeben werden. Es gibt noch immer einen erkennbaren Unterschied bei den Fernsehinszenierungen des Fernsehens. Während die Kameras ohne Umschweife auf das schmerzverzerrte Gesicht des gestürzten Abfahrers Hermann Maier zielen, weichen die ungnädigen Medien vor leidenden Frauengesichtern immer noch schamhaft zurück. Das Bild der letzten Tage war vielleicht der enttäuschte Aufschrei der Uschi Disl nach einem verfehlten Schuß beim Biathlon. Aber niemals würden die Fernsehkameras es wagen, Stück für Stück ihren Körper nach einem Sturz abtasten.

Soviel Anstand ist allemal in den olympischen Fernsehbildern, daß sie den Körpern bei aller marktförmigen Ausbeutung, die zu so einer Veranstaltung dazugehört, nur das entreißen, was die Menschen herzugeben bereit sind. Harry Nutt