: Vergangenheitsbewältigung auf sächsisch
■ Drei PDS-Abgeordnete weigern sich, wegen Stasi-Mitarbeit zurückzutreten. Jetzt will ihnen der Sächsische Landtag in Dresden das Mandat entziehen – ein bundesweit einmaliger Vorgang
Leipzig (taz) – So etwas hat es in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte noch nicht gegeben: Der Sächsische Landtag will wegen teilweise jahrzehntealter „Vergehen“ drei seiner Mitglieder das Mandat entziehen. Den PDS-Abgeordneten Klaus Bartl, Sieghard Kosel und Jürgen Dürrschmidt wird ihre Stasi-Mitarbeit vorgeworfen – heute soll vor dem Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschuß des Landtags die letzte und vermutlich entscheidende Anhörung stattfinden.
Grundlage der sogenannten Abgeordnetenanklage ist Artikel 118 der sächsischen Landesverfassung. Er ermöglicht es dem Landtag, beim Verfassungsgerichtshof in Leipzig gegen Parlamentarier ein Verfahren zur Mandatsaberkennung einzuleiten. Voraussetzung ist, daß sie gegen „Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit“ verstoßen oder für die Stasi gearbeitet haben und eine „fortdauernde Innehabung“ des Mandats „untragbar“ erscheint – eine einmalige Regelung. Sofern es in anderen Landesverfassungen überhaupt die Möglichkeit eines Mandatsentzugs gibt, dann nur bei Taten, die in Zusammenhang mit dem Mandat stehen, etwa bei Verletzung von Geheimhaltungspflichten. Weil Artikel 118 Bürgern das passive Wahlrecht auf Lebenszeit entzieht, hält ihn PDS-Landeschef Peter Porsch schlicht für „grundgesetzwidrig“.
Die sächsischen Mühlen gegen Stasi-Altlasten mahlen automatisch. Jeder Abgeordnete muß nach der Wahl seine Personalien beim Landtagspräsidenten einreichen, der sie an die Gauck-Behörde weiterschickt. Das dort eventuell gefundene Material wird einem „Bewertungsausschuß“ zugeleitet, in dem jede Fraktion mit zwei Mitgliedern vertreten ist (der aber von der PDS boykottiert wird). Der Ausschuß berichtet dann dem Landtag: In den Fällen Bartl, Kosel und Dürrschmidt empfahl das Gremium im April 1997, das Mandat zu entziehen. Nach einem Ultimatum zum freiwilligen Amtsverzicht stellten dann über 70 Abgeordnete von CDU und SPD im November die Anträge, förmliche Gerichtsverfahren einzuleiten. Nach der heutigen Sondersitzung steht die Abstimmung im Plenum an – nötig ist eine Zweidrittelmehrheit.
Die konkreten Vorwürfe sind von unterschiedlicher Schwere: Dürrschmidt, 43, war IM von 1978 bis 1980. Kosel, 58, spitzelte von 1962 bis 1987. In der DDR war er Funktionär des Sorben-Bundes „Domowina“; 17 Jahre lang führte er deren Zeitung Nowa Doba als Chefredakteur. Kosel rechtfertigt sich, wenn er eine SED-Zeitung geleitet hätte, wäre er nicht als IM geführt worden, sondern hätte offiziell mit der Stasi zusammenarbeiten müssen. Eine Aussage, die auch von der Gauck-Behörde als „nicht ganz falsch“ bezeichnet wird. Bartl, 47, arbeitete 1968 bis 1971 inoffiziell mit der Stasi zusammen. Als 18jähriger überwachte er als „ehrenamtlicher“ Helfer die Grenze zur ČSSR und schrieb Berichte über die „politische Lage“ in seiner Abiturklasse. Nach dem Jurastudium machte Bartl Karriere, wurde Staatsanwalt und Abteilungsleiter Staats- und Rechtsfragen der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt. Als Funktionär hatte er „selbstverständlich“ Stasi-Kontakte.
Die drei PDSler saßen bereits in der vergangenen Legislaturperiode im Landtag, Bartl sogar als Fraktionschef. Alle Vorwürfe gegen sie wurden 1991 bekannt. Nur gab es die Abgeordnetenanklage damals noch nicht, die Verfassung wurde erst 1992 – gegen die Stimmen der PDS – erlassen.
Bartl betont, er habe 1994 in seinem Wahlkreis Chemnitz mehr Erststimmen bekommen als die Landesliste Zweitstimmen. Und das, nachdem er in seinem Wahlkampfmaterial direkt auf seine Biografie hingewiesen habe. Seine Gegner wollten jetzt nur einen politisch mißliebigen Kollegen loswerden. Ähnlich argumentieren seine beiden umstrittenen Kollegen. „Der sächsische Souverän hat in Kenntnis der Tatsachen frei entschieden“, ist sich Fraktionschef Porsch sicher. „Die Mehrheit eines Landtages will ein Wahlergebnis nachträglich korrigieren, weil die Wähler nach Auffassung dieser Mehrheit die falschen Abgeordneten gewählt haben.“
CDU und SPD lassen sich sich auf eine solche Diskussion nicht ein. Wortführer Wolfgang Nowak von der CDU: „Die sächsische Verfassung sieht nun mal für die Wählbarkeit eines Abgeordneten vor, nicht Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein.“ Christoph Degenhart, Juraprofessor an der Universität Leipzig, ist skeptisch. Der renommierte Staatsrechtler nennt die Angelegenheit eine „heikle Grenzfrage“ und meint: „Man sollte die Dinge eher politisch klären als juristisch.“ Toralf Staudt
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