: Ein Atomkraftgegner in Uniform
Hubert Wimber hält den Transport der Castor-Brennelemente „für schädlich und überflüssig“. Sein Problem: Als Polizeipräsident muß er den Castor schützen ■ Aus Münster Walter Jakobs
Wenn Hubert Wimber seine Vision von Polizeiarbeit beschreibt, dann ist viel von „Deeskalation“, „Kommunikation“ und „Kooperation“ die Rede. Auch an diesem Freitag morgen klingt der grüne Polizeipräsident von Münster nicht anders. Geduldig, konzentriert, den Gesprächspartner fest im Blick wirbt er für eine „bürgernahe Polizei“, die die „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ wahrt. Eine Art grünes Kontrastprogramm zur vieldiskutierten Null-Toleranz- Polizei nach dem Muster New Yorks wird da sichtbar.
Doch grau ist alle Theorie. Zumindestens die Atomkraftgegner rund um Ahaus trauen den sanften Tönen aus dem östlich gelegenen Münster nicht. In ein paar Wochen, wahrscheinlich zwischen dem 23. und dem 27.März, sollen sechs Castor-Behälter aus Neckarwestheim und Grundremmingen ins Brennelemente-Zwischenlager nach Ahaus rollen. Die polizeiliche Sicherung dieses Transports liegt beim Polizipräsidium in Münster — und damit bei Wimber.
Anfang Februar hat der bekennende Atomkraftgegner den Ahausener Bürgerinitiativen (BI) in einem dreistündigen Gespräch die Einsatzplanung erläutert. Er spricht gerade darüber, als ihm die Einladung der BI zu einer Pressekonferenz auf den Tisch flattert. Darin wird das Polizeikonzept als „eine offene Kampfansage an die gewaltfreie Bürgerbewegung“ gegeißelt. „Massive Verletzungen von Grundrechten“ seien damit verbunden. In diesem Moment verdunkelt sich das von freundlichen Falten zerfurchte Gesicht des 48jährigen, der im linken Ohr einen dreieckigen Silberknopf trägt, merklich. Es kommt ihm zwar auch jetzt kein scharfes Wort über die Lippen, aber aus seiner Enttäuschung macht er kein Hehl. Die „plakativen Formulierungen“ sind ihm ein weiteres Indiz dafür, daß es um die Kooperationsfähigkeit der Bürgerinitiativen „im Moment nicht zum Besten bestellt ist“. Offenbar seien die Anti-Castor-Initiativen entschlossen, Deeskalation als „einseitigen Forderungskatalog an die Polizei mißzuverstehen“.
Heute abend will er in der Ahauser Stadthalle zusammen mit dem Polizeieinsatzleiter erneut den Versuch machen, um Verständnis für den geplanten Polizeieinsatz zu werben. Massiver Ärger ist absehbar, denn die Initiativen für ein „atomfreies Münsterland“ haben zur Teilnahme aufgerufen, um den geplanten „polizeistaatlichen Wahnsinn“ zu stoppen. Es dürfe „keinen Atomstaat mit grüner Mitwirkung geben“. Wimber hält die Fahne der „Kooperation“ gleichwohl hoch. Doch wie soll Kooperation funktionieren? Bei so gegensätzlichen Interessen? Hier die AKW-Gegner, die durch Demonstrationen und Blockaden den Transport verhindern wollen, dort die Polizei, die ihn schützen soll.
Laut Einsatzvorbereitung stehen zwei Ziele „im Prinzip gleichberechtigt nebeneinander“, sagt Wimber. Einerseits soll der Transport gesichert und anderseits die Versammlungsfreiheit der friedlichen Demonstranten geschützt werden. Im Prinzip! Praktisch läuft alles auf eine klare Rangfolge hinaus. Sollte Umweltministerin Angela Merkel die Transportgenehmigung tatsächlich erteilen, dann „muß und wird die Polizei dafür sorgen, daß der Castor seinen Bestimmungsort erreicht“, beschreibt Wimber die eng mit dem Düsseldorfer Innenministerium abgestimmte Einsatzlinie. Dabei setzt die Staatsmacht auf Demonstrationsverbote an den Gleisanlagen und Grundstücken in der Nähe des Zwischenlagers. Versammlungsverbote, die Wimber für kompatibel mit dem Grundgesetz hält, denn Artikel 8 garantiere nicht, daß an jedem Ort, zu jeder Zeit, mit allen Mitteln demonstriert werden könne. Insofern liegen die Ahausener Bürgerinitiativen durchaus richtig, wenn sie die Sicherung des Transports als „oberstes Einsatzziel“ der Polizei kritisieren und davon sprechen, daß dem „alle anderen Rechtsgüter untergeordnet“ würden. Wenn es bei dem Konzept bleibe, drohe am Tag X deshalb „für alle Beteiligten ein Fiasko“.
Wimber will das unter anderem durch direkte „Krisenkommunikation“ zwischen BI-Vertretern und der Einsatzleitung abwenden. Auch eine neutrale „Vermittlungsstelle“ soll deeskalierend wirken. Hierfür sind Personen im Gespräch, die in beiden Lagern Akzeptanz finden. Raum für massiven Ärger bleibt dennoch genug. Dem Grünen graut zwar „vor einem Gorleben II“, doch da er im selben Moment ankündigt, zum Einsatzkonzept gehöre auch, jegliche Straftaten „zu unterbinden“ oder gegebenenfalls „beweissicher zu verfolgen“, kann man sich Jagdszenen nach Gorlebener Art leicht ausmalen.
Die Ahausener Bürgerinitiativen verlangen, daß die Polizei zumindestens gegen „friedfertige BlockiererInnen“ keine Gewaltmittel wie Knüppel und Tränengas einsetzt. Gerade mit Blick auf den sogenannten „Schienenaktionstag“ im Oktober vergangenen Jahres, pochen sie auf feste Zusagen, die den ernsthaften Willen zur Deeskalation erkennen lassen. Martin Budich, Sprecher des Grünen-Kreisverbandes in Bochum, wirft seinem Parteifreund in Münster gar vor, bei dieser „ersten Feuerprobe total versagt“ zu haben. Tatsächlich hatten seinerzeit zahlreiche Augenzeugen aus Bürgerrechtsgruppen eine Vielzahl von Polizeiübergriffen bezeugt. Wimber selbst räumt „Fehler“ ein. Vor allem in der Gefangenensammelstelle, wo einzelne Beamte Jugendliche nach deren Auskunft bei Leibesvisitationen „regelrecht gedemütigt“ haben sollen. Auch einige Jagdszenen kritisiert der Polizeichef als „unprofessionell“, aber insgesamt bewertet er den Einsatz nach wie vor als „angemessen“.
Mit dem Zwiespalt, den Transport sichern zu müssen, ihn aber persönlich „für schädlich und überflüssig“ zu halten, lebt der Vater zweier noch nicht schulpflichtiger Kinder seit der Amtseinführung im vergangenen Jahr. Bereut hat er die Annahme des Jobs, auf den die Grünen im Rahmen der Düsseldorfer Koalitionsabsprachen einen Anspruch hatten, trotzdem noch keinen Tag.
Am morgigen Dienstag wird er sich in der Essener Zeche Carl zusammen mit dem Grünen-Fraktionssprecher Roland Appel erneut der Diskussion stellen. Ein heißer Tanz ist dann zu erwarten, denn die Einlader sehen in Ahaus „nicht zuletzt auch die Glaubwürdigkeit der Grünen als Anti-Atom- und Bürgerrechtspartei auf dem Prüfstand“. Dieser Herausforderung stellt sich der diplomierte Sozialwirt, der zuvor zwei Jahre stellvertretender Polizeipräsident in Recklinghausen war, gern. Wer mitregieren will, davon ist Wimber, seit 1987 bei den Grünen, überzeugt, darf auch bei der Besetzung von polizeilichen Führungsjobs nicht kneifen.
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