„Ewig beschützen kann die SFOR uns nicht“

In Stolac behindern Behörden Rückkehr muslimischer Flüchtlinge. Dem kroatischen Bürgermeister droht nun die Absetzung  ■ Aus Stolac Erich Rathfelder

Ängstlich blicken die Menschen auf das sich nähernde Auto. Erst als sie bemerken, daß es sich um Ausländer handelt, entspannen sich ihre Gesichter wieder. Die Vorsicht ist angebracht. Denn in den vergangenen Wochen kam es mehrfach zu Überfällen auf diese Gruppe von muslimischen Rückkehrern in der zur Zeit von Kroaten dominierten Stadt Stolac. Die Stadt, kaum 40 Kilomter südlich von Mostar gelegen, ist wie Brčko und Srebrenica, wie Jajce, Bugojno oder Prijedor eine jener Punkte auf der Landkarte Bosnien-Herzegowinas, bei denen es sich entscheidet, ob Vertriebene wieder nach Hause zurückkehren können, ob das Abkommen von Dayton tatsächlich überall im Lande verwirklicht wird.

Schon vor zwei Jahren war die Rückkehr von hundert muslimischen Familien beschlossene Sache. „Damals hatten wir noch große Hoffnung“, sagt der 48jährige Ahmed M. Jetzt steht er inmitten einer Gruppe von Nachbarn, die seit dem Herbst letzten Jahres versuchen, ihre völlig zerstörten Häuser am Rande der Stadt wieder aufzubauen. Dieser Stadtteil, der unter dem Krieg besonders gelitten hat, ist von den kroatischen Behörden für die Rückkehr von bosniakischen (muslimischen) und serbischen Familien freigegeben worden.

„Nach all den Verhandlungen hat man uns im letzten Sommer versprochen, daß wir wieder zurückkehren können.“ Ahmed ist seit November letzten Jahres dabei, die Mauern seines Hauses wieder hochzuziehen und hat sogar schon das Dach gesetzt. Wenn Türen und Fenster von den internationalen Hilfsorganisationen geliefert werden, würde der Rückkehr seiner Familie, die als Flüchtlinge in Ostmostar leben, eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Wenn nicht die Ereignisse vom 5.Februar wären.

Da brannten einige der Häuser wieder, und die Arbeit von acht muslimischen und zwei serbischen Familien wurde zunichte gemacht. Zwar eilten sofort Vertreter der internationalen Polizei IPTF und auch Soldaten der SFOR an die Stelle des Verbrechens, um die Rückkehrer zu schützen, doch das Ziel der Attacke wurde zumindest zeitweilig erreicht: Die Rückkehrer sind zutiefst verunsichert. Sie wissen nicht, ob sie weitermachen sollen. Ahmed deutet auf die Straßenecke, wo Panzerwagen der spanischen SFOR-Truppen Position bezogen haben. „Ewig können die uns auch nicht beschützen“, sagt er.

„Früher“, so erinnern sich die Umstehenden, „war dies eine schöne Stadt.“ Stolz wären sie allesamt gewesen, alle Bürger von Stolac, die Muslime, die Kroaten, die Serben. Die Sehenswürdigkeiten der kaum 60 Kilometer von Dubrovnik entfernten Stadt zogen damals vor dem Krieg viele Touristen an. Die berühmte Kaiserliche Moschee des Sultans Selim, die 1519 gebaut wurde, die katholisch geprägte, mittelalterliche Szenerie der Altstadt, die orthodoxe Kirche, die Ausgrabungsstätten Badanj, wo Überreste einer Steinzeitkultur gefunden wurden, die nahegelegenen Felder mit den Stecci, den mittelalterlichen, geheimnisumwobenen Grabmälern in Boljuni, die Festung aus osmanischer Zeit galten als sehenswerte Attraktionen. Die 18.000 Bewohner des Bezirks hatten damals ihr Auskommen. Es gab hier eine metallverarbeitende Fabrik und einige andere kleinere Produktionsstätten.

Mit Beginn des Krieges, dem Angriff serbischer Truppen auf den Bezirk im April 1992, begann das Unheil. Die serbischen Truppen vertrieben die muslimische und kroatische Bevölkerung aus der Stadt und besetzten den größten Teil des Bezirks. Im Laufe des Sommers 1992 jedoch gelang es den damals gemeinsam kämpfenden kroatischen und muslimischen Truppen, Terrain zurückzuerobern. Im Raum Mostar erlitten die serbischen Truppen ihre erste ernsthafte Niederlage im Krieg. Jetzt floh die serbische Bevölkerung in die weiter serbisch kontrollierten Gebiete Ostherzegowinas, die serbischen Truppen hielten die umliegenden Höhenzüge. Und schossen mit Artillerie auf die unter ihnen liegende Stadt.

Schon weiß niemand mehr so richtig, was wann von wem zerstört wurde. Die berühmten Moscheen sind gesprengt, die meisten Häuser an der Frontlinie und auch die Altstadt liegen in Trümmern. Als im Juni 1993 die kroatische Säuberungswelle gegen Muslime in Capljina und Westmostar rollte, gewannen die kroatischen Streitkräfte auch in Stolac die Oberhand. Nach Kämpfen mit der bosnischen Armee, die versuchte, von Ostmostar aus dorthin durchzubrechen, mußte die muslimische Bevölkerung erneut die Stadt verlassen. Viele der muslimischen Männer wurden durch die Konzentrationslager von Dretelj und Gabela geschleust; es entstanden noch weitere Lager in nächster Umgebung. Die umliegenden muslimischen Dörfer wurden in den folgenden Monaten von den kroatischen Extremisten dem Erdboden gleichgemacht und sind bis heute vermint.

Kaum hundert Meter unterhalb des Fleckens, wo die verängstigten Rückkehrer unter dem Schutz der SFOR-Soldaten wieder an ihren Häusern werkeln, zeigen kroatische Flaggen an, daß eine Grenze im Ort gezogen ist. Der Hauptplatz, wo einst die berühmte Moschee stand, ist zum Parkplatz geworden; das Krankenhausgebäude liegt in Trümmern. In den unversehrt gebliebenen Häusern haben sich Cafés und Bars eingerichtet, wo schrille Musik die Gespräche verstummen läßt.

Die 22jährige Maria ist in Stolac aufgewachsen und hat den Krieg hier hautnah miterlebt. Jetzt arbeitet die junge Frau in einem der Cafés als Kellnerin. „Dies ist die einzige Verdienstmöglichkeit.“ Weil sie schön sei, sei sie von dem Chef eingestellt worden, der achte auf so was. „Sonst ist nichts los, die Fabriken arbeiten nicht, Touristen kommen keine.“ Sie persönlich wünschte sich stets die Rückkehr der Vertriebenen. Als eine Schulfreundin, eine Muslimin, die jetzt in Mostar wohnt, sie besuchte und beide in ein Café gingen, wurde sie später angefeindet. „Auch meine Eltern wollten den Umgang mit der Freundin nicht.“ Wer die Häuser niedergebrannt habe, wisse sie nicht. „Aber fragen Sie den Bürgermeister. Der hat doch sonst alles unter Kontrolle.“

Pero Raguz, der starke Mann des Ortes und Funktionär der kroatischen Nationalpartei HDZ, kontrolliert den Ort im Stile eines Gutsherrn. Viele Mitglieder seiner Familie sitzen auf den wichtigsten Posten. Sein Geld verdient er jedoch durch die Kontrolle des Marktes an der Straße nach Nesevinje, an der Demarkationslinie zur Republika Srpska. Die Geschäfte reichen von Kleinhandel bis zur Verschiebung von Benzin und anderen Gütern, die so zollfrei in die serbische Zone Bosnien- Herzegowinas gelangen. Von den dort gemachten Einahmen haben die rund 4.000 kroatischen Bewohner von Stolac aber nichts. Nicht nur die Kellnerin würde Raguz am liebsten zum Teufel schicken.

Und das ist jetzt nicht einmal mehr ein Ding der Unmöglichkeit. Der „Nationalist“ und Geschäftemacher Raguz ist selbstverständlich für die Presse nicht zu sprechen. Er hat nämlich alle Hände voll zu tun, die Forderungen der internationalen Gemeinschaft abzuwehren. Sein Stuhl wackelt bedenklich, seit der Vertreter des Hohen Repräsentanten, Hanns Schumacher, vor wenigen Tagen in diesem Ort weilte. Weil Raguz in seinem Arbeitszimmer das Bild des Präsidenten Kroatiens, Franjo Tudjman, aufgehängt hatte, weigerte sich Schumacher, mit ihm dort zu sprechen. Seine Worte, „jedermann müßte es klar sein, daß nicht der kroatische Präsident der Präsident dieses Landes ist“, trafen ins Herz der kroatischen Nationalisten in ganz Bosnien-Herzegowina.

Trotz der Existenz der bosniakisch-kroatischen Föderation und der angeblichen Auflösung des kroatisch-bosnischen Staates Herceg-Bosna tat die Herrschaftselite der bosnischen Kroaten bisher alles, um Herceg-Bosna zu erhalten und faktisch an Kroatien anzuschließen. Das reicht von der gemeinsamen Währung (Kuna) über die Schulbücher, die aus Kroatien stammen, bis zum Telefonsystem, das in den kroatisch kontrollierten Gebieten Bosnien-Herzegowinas an jenes Kroatien angeschlossen ist. So wie in der Republika Srpska unter anderen Vorzeichen.

Daß es die internationale Gemeinschaft jetzt ernst meint mit der Umsetzung von Dayton, mit der Reintegration des gesamten Staatsgebiets, mußte Raguz nach dem Besuch Schumachers zur Kenntnis nehmen. Bosnien-Herzegowina wird nicht geteilt, die Rückkehr der Vertriebenen wird stattfinden, hatte Schumacher bei dem Zusammentreffen, das schließlich in einer kalten Sporthalle des Ortes zustande kam, erklärt. Wer sich von den Funktionsträgern dem verschließe, müsse die Konsequenzen tragen. Raguz, so Schumacher, müsse zurücktreten, wenn er sich nicht beuge.

Das waren starke Worte, die Schumacher nochmals in Mostar wiederholte. Seither hat nicht nur Raguz, sondern die gesamte kroatische Herrschaftselite in Westmostar, Čapljina, Citluk, Grude, Siroki Brijeg einen Schreck gekriegt. Und halbherzig einigen Veränderungen zugestimmt. So hat Raguz die Schuld an der Zerstörung der Häuser seinem Polizeichef in die Schuhe geschoben und ihn entlassen. Der neue Mann, Mirko Bosković, wurde während des Krieges dafür bekannt, daß er sich gegen eine Zerstörung Stolacs stemmte. Er ist also einer, mit dem die internatioanle Gemeinschaft zufrieden sein kann, außer dem Umstand, daß es sich um keinen professionellen Polizisten handelt. In Zukunft dürfte es auch keine kroatischen Fahnen mehr im Ort geben. Sie sollen jetzt durch die neue Flagge Bosniens und die Fahne der bosniakisch-kroatischen Föderation ersetzt werden. So will es die internationale Gemeinschaft. Und auch die Leute, die an ihre Heimatorte zurückkehren wollen.

Ahmet hat inzwischen weiter an dem Graben für die Wasserleitung zu seinem Haus gearbeitet. Er hat die Worte Schumachers gehört. Und ist erfreut darüber. „Diese Herrschaften müssen abgesetzt werden.“ Für ihn bleibt die Frage offen, wovon er und seine Familie nach der Rückkehr leben sollen. „Solange Leute wie Raguz den Ort beherrschen, wird alles so bleiben wie bisher, und wir werden keine Arbeit finden.“ Und er blickt zum Ende der Straße, wo die kroatischen Flaggen hängen.