: Zwischen Einigung und neuer Kriegsgefahr
Zyperns Präsident Clerides ist wiedergewählt. 1998 scheint die Lösung des Konflikts möglich – die Eskalation auch ■ Von Klaus Hillenbrand
Berlin (taz) – „1998 wird das entscheidende Jahr für Zypern.“ Immer wieder hat Zyperns Präsident Glavcos Clerides im Wahlkampf diesen Satz gesagt. Am Sonntag gewährten die griechischen Zyprioten dem 78jährigen Konservativen mit der knappen Mehrheit von 50,8 Prozent eine zweite fünfjährige Amtszeit. Auf seinen fast zwanzig Jahre jüngeren Konkurrenten Georgios Iakovou, der von der linken Fortschrittspartei der Werktätigen und der Demokratischen Partei aufgestellt worden war, entfielen 49,2 Prozent. Der Unterschied zwischen beiden betrug nur 6.657 Stimmen.
„Heute begeben wir uns auf einen neuen Weg, der uns nach Europa führen wird“, sagte Clerides unter dem Jubel von rund 15.000 Anhängern noch am Wahlabend. Nun muß er beweisen, daß die vom Wahlvolk ersehnte Entscheidung – das Ende der Insel-Teilung – in diesem Jahr auch wirklich in die Wege geleitet wird. Schon im März sollen die UN-Gespräche zwischen griechischen und türkischen Zyprioten wieder in Gang gebracht werden. Mit einer Regierung der nationalen Einheit, die auch die gegnerische kommunistische AKEL-Partei aufnimmt, will Clerides die Insel-Griechen hinter sich scharen, „um die Besatzungstruppen loszuwerden und die Wiedervereinigung unserer geteilten Insel“ zu erreichen, sagte er.
Es könnte auch anders kommen: Nicht nur Frieden und Versöhnung sind 1998 denkbar, auch ein neuer Krieg. Das Land befinde sich, sagte Clerides, in der schwierigsten Phase seit der Teilung 1974, als türkische Truppen den Norden der Insel besetzten. Zwar bietet die Republik die völlige Demilitarisierung der Insel für den Fall an, daß die Türkei ihre Besetzung Nordzyperns aufgibt und ein gemeinsamer Bundesstaat gegründet wird. Für den Fall aber, daß diese optimistische Prognose nicht eintrifft, ist die Stationierung russischer Flugabwehrraketen geplant, die die Luftüberlegenheit der Türkei in Frage stellen.
Ankara hat bereits gedroht, diese Stationierung in jedem Fall zu verhindern. Da Zypern in einem militärischen Beistandspakt mit Griechenland verbunden ist, droht so für die zweite Jahreshälfte, wenn die S-300 ankommen sollen, ein griechisch-türkischer Krieg. Auch die USA bemühen sich, eine Stationierung noch zu verhindern, weil es dem russischen Ausbildungspersonal möglich wäre, den gesamten östlichen Mittelmeerraum zu überwachen.
Der Zypernkonflikt hat den Kalten Krieg überlebt und UN- Sonderemissäre im Dutzend verschlissen: Seit nunmehr fast 23 Jahren hat sich am Status quo nichts verändert. Der hermetisch abgeriegelte Norden ist türkisch besetzt und fast ausschließlich von Zyperntürken besiedelt. Im Süden, der einzig anerkannten Restrepublik Zypern, leben seit der Invasion die Griechen. Von einem gemeinsamen Bundesstaat ist schon seit 1977 immer wieder die Rede – ohne jedes Ergebnis.
Die Raketen-Drohungen der griechischen Zyprioten hat den Konflikt wieder dringlich gemacht. Zumindest haben sie die USA auf den Plan gerufen. Europa, dessen Hilfe die Zyperngriechen erhoffen, hat die Lösungschancen allerdings eher verringert. Mit der Entscheidung, ab Frühjahr 98 eine Mitgliedschaft der Republik zu verhandeln, der Türkei eine ebensolche aber zu verweigern, hat die EU harsche Reaktionen in Ankara provoziert. Bei Verhandlungsbeginn, so die Drohung, werde die international geächtete „Türkische Republik Nordzypern“ noch enger an die Türkei angeschlossen.
Seit mehr als dreißig Jahren ist Rauf Denktasch als Führer der Zyperntürken im Geschäft. Ebenso sein Widersacher, der wiedergewählte Grieche Glavkos Clerides: Verhandelt haben die beiden schon in den 60er Jahren miteinander. Daß diese Politiker selbst eine Lösung finden können, gilt als unwahrscheinlich – zumal die Türkei bei den Gesprächen gar nicht mit am Tisch sitzt.
Daß die Zyprioten einen Krieg in Kauf nehmen, scheint ausgeschlossen. Doch die Rüstungsspirale und gegenseitige Beistandsverpflichtungen mit Griechenland und der Türkei könnten einen gefährlichen Automatismus in Gang setzen. Ohnehin zählt Zypern zu den am stärksten militarisierten Regionen der Erde. Im Norden sind rund 30.000 türkische Soldaten stationiert, hinzu kommen etwa 4.000 zyperntürkische Waffenträger. Die Republik Zypern verfügt über etwa 14.000 Soldaten. Sie hat in jüngster Zeit mit russischen Panzern und französischen Exocet-Raketen aufgerüstet. Eine Luftwaffenbasis steht vor der Fertigstellung – obwohl man kein einziges eigenes Flugzeug besitzt. Hilfe aus der Luft wird im Ernstfall aus Griechenland erhofft.
Präsident Clerides steht mit seiner Politik der Stärke nicht allein. Auch alle anderen Präsidentschaftskandidaten billigten seinen außenpolitischen Kurs. Bis auf einen, und der erhielt mikroskopische 0,8 Prozent der Stimmen.
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