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Oldenburg Paranoia auf Pidgin-Deutsch

■ Das Haßbuch zur „Huntemetropole“liegt vor / Es sind 185 Seiten Körperverletzung

tadtmarketing-Leute aus Oldenburg, hergehört! Die Huntemetropole ist keineswegs, wie Ihr immer behauptet, die von ihren BewohnerInnen meistgeliebte Stadt Deutschlands. Sie ist nicht stets wachsend und prosperierend und mit einer attraktiveren Fußgängerzone ausgestattet als das verhaßte Bremen. Oldenburg, das ist ein apokalyptisches Provinzkaff, das ausschließlich aus scheißenden Tölen, dealenden Afrikanern, bestialischen Fußballfans, knabenschändenden Bullen und monströsen Kindern besteht. Oldenburg, das ist die Hölle. Findet Rico Rojo, 33jähriger Spanier mit 26 Jahren Frankfurt und 1 1/2 Jahren Oldenburg auf dem Buckel. Rico, das ist der Ich-Erzähler des wahrscheinlich ersten Hunte-Thrillers, Oldenburg apocalyptisch, und mutmaßliches Alter Ego des Autors, des Spaniers Miguel Jurado y Garcia.

Am Anfang liegt eine rothaarige Schöne nackt und mit halb abgeschnittenem Kopf neben ihrem Liebhaber Rico, der von dem mörderischen Überfall nur eine Platzwunde am Kopf zurückbehält, aber ab sofort als Mörder verdächtigt wird. Plötzlich wollen alle möglichen Leute seinen Kopf bzw. „Hackfleisch“aus ihm „machen“. Rico aber schlägt sich tapfer und auch durchaus gnadenlos durch den Oldenburger Dschungel und kommt zuletzt einer geradezu globalen Verschwörung auf die Spur (Stichworte: Militärischer Abschirmdienst MAD, Hardt-Höhe, Balkankrieg ...). Rico Rojo spielt als Lover der ermordeten Ehefrau eines schwulen Bremer Admirals zwar eine eher marginale Rolle im Weltgeschehen; im Krimi aber ist er – das wird von Seite zu Seite deutlicher – unter lauter Perversen und Weicheiern der einzig wahre (ja einzig mögliche) Mann. Beruf: Callboy. Berufung: Macho.

Wie ist die Welt, die dem spanischen Macho als letzte denkbare Männerrolle die des Callboys übrig läßt (Ihr blanker, gutgeformter Po geilte sich mir entgegen ... melancholisch besorgte ich es ihr)? Die Welt ist voller eiskalter Nordweiber, die nichts anderes im Sinn haben, als dem Manne Samen (= ein Kind) zu entlocken, ihm dann ein Verfahren wegen Mißbrauchs anzuhängen und ihn so wieder los zu werden. Tragende Rolle in dem sinistren Spiel: Wildwasser Oldenburg e.V., Verein gegen sexuellen Mißbrauch an Mädchen. Sowie ein gewisser S. Freud und alle, die ihm anhängen.

Es nutzt nämlich Miguel Jurado y Garcia den Bundeswehr- und Geheimdienstthriller, mehreres zu attackieren, was ihm offensichtlich mächtig stinkt an Oldenburg und Germania, der banalen Hure: die Rolle der deutschen Außenpolitik und besonders der Friedensbewegung im Bosnienkrieg (serbenfeindlich); die Geldgier der Kirchen; den Kinderhaß der Deutschen, der einhergeht mit Hundeliebe und allgegenwärtigen Scheißhaufen; den Autoverkehr (Autos sind hektisch hupende Bankrotterklärungen der mobilisierten Massengesellschaft); sowie bescheuerte Antisexismusgruppen. Außerdem soll die Hochschule Hannover B-Waffen-Forschung betreiben und das AIDS-Virus einem amerikanischen Kriegswaffenlabor entstammen. Über derartige Themen aus der Welt der Paranoia wird in kalten Autos, im strömenden Regen oder in einer Oldenburger Schwulendisko durchaus elaboriert geschwatzt. Sagt eine Frau: Das Visna-Virus allein kann unmöglich den Menschen infizieren. Stattet man es jedoch mit der Fähigkeit aus, in die menschlichen T4-Zellen einzudringen ... Versetzt der Angesprochene: Was insinuierst du da?

Doch kann der Leser sicher sein, daß man nach jedem dieser Exkurse wieder in einer real existierenden Oldenburger Straße landet. Zur Not ließe sich die Geschichte mit dem Stadtplan in der Hand nachfahren: Schloßpark, Am Stau, Amalienbrücke, Donnerschwee ... Die Uni kriegt ihr Fett ab und (Ex-) Rektor „Dax“.

Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, daß dieses Buch hochgradig unleserlich ist. Denn es bedient sich einer eigentümlichen und schwerverdaulichen Sprache: eine sicherlich genuin spanische, blühende Metaphorik wird so fehlerhaft wie möglich ins Deutsche übertragen, daß die Bilder quietschen und die Sätze, aus widerstrebenden Begriffen zusammengeschmiedet, gequält aufstöhnen. Der Autor kann sich zwar eines beeindruckenden Wortschatzes bedienen, kloppt indes die Einzel-stücke so willkürlich zusammen, daß man vom Heraufdämmern eines neuen Pidgin-Deutsch schwadronieren möchte. Gefundenes Fressen für LinguistInnen: Gurgelnd ging mir das Licht aus. Alle Hoffnungskeime in Scherben. Die orientalische Stimme erstarb röchelnd am gleichgültigen Gemäuer. Die Büttel besorgten die lastende Stille. Freyas starrer Anblik erigierte meine Nackenhaare. Meine Alarmsirene schrillte Hoffnung. Sein Geseiche schwappte impotent in meine Lauscher, wie eine saftlose Pfütze zeugungsunfähigen Ejakulats. Das geht ohne Unterlaß, und nur ganz selten, wenn exakt das notorische Klischee getroffen wird, gelingt ein Satz: Die Jungs von der Spurensuche haben ganze Arbeit geleistet. Oder auch mal eine notierenswerte Beschimpfung: Du miese In-Vitro-Fertilisation!

„Oldenburg apocalyptisch“ist eine nicht unspannende, aber wirklich schwer zu bewältigende Oldenburgensie, die manches Nach-sinnen über Wesen und Wert einer Multikulti-Literatur zu evozieren vermag. Grundsätzlich würde ich im Buchladen, statt den Kaufpreis zu entrichten, vorauseilendes Schmerzensgeld fordern. Und die im Buch als Lektorin bezeichnete Erstleserin Karin Edith Schütte gehört in die Hunte gestoßen. Ersatzweise muß sie hundert mal schreiben: „Ich darf einem Satz wie Selims triefende Ironie flackerte todesdüster niemals meinen Lektoratssegen verleihen.“

Burkhard Straßmann

Miguel Jurado y Garcia, Oldenburg apocalyptisch, Selbstverlag, Oldenburg 1997, 185 Seiten

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