: Die Apotheker klären Ärzte auf
■ Die neue Betäubungsmittelverordnung bedeutet für die Apotheken in der Nähe von Junkie-Treffpunkten Mehrarbeit und Umsatzeinbußen. Abhängige Kunden sind verzweifelt
Die neue Betäubungsmittelverordnung hat nicht nur für Drogenabhängige und Ärzte Folgen, sondern auch für einige Apotheken. „Die Auswirkungen sind katastrophal“, berichten die Angestellten von Apotheken in der Nähe von Junkie-Treffpunkten in der Innenstadt und in Kreuzberg. Die Pharmazeuten klagen vor allem über einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand und Umsatzeinbußen, seit Codeinsaft nicht mehr auf Privatrezept frei zur Substitution verschrieben werden darf.
Daß in unterschiedlichen Konzentrationen erhältliche sogenannte Dihydrocodein (DHC) ist nach Methadon der zweitwichtigste Heroinersatzstoff für Drogenabhängige. Seit die Verordnung am 1. Februar in Kraft getreten ist, darf DHC von den Ärzten nur noch auf speziellen Betäubungsmittelrezepten verschrieben werden, die von der Bundesopiumstelle kontrolliert werden (die taz berichtete).
Viele Ärzte seien über die Veränderung überhaupt nicht informiert gewesen und hätten ihre Patienten auch nach dem 1. Februar mit Privatrezepten losgeschickt, hieß es aus zwei Apotheken in der City, die von vielen Abhängigen frequentiert werden. „Die ersten Tage haben sich hier Dramen abgespielt.“ Manche Kunden seien so verzweifelt gewesen, daß sie gedroht hätten, sich im Laden umzubringen. „Gib mir 50 Milliliter Codeinsaft ohne Rezept, sonst muß ich mir um die Ecke Heroin besorgen“, hätten andere gebettelt. „Wir mußten bei vielen Ärzten erst mal Aufklärungsarbeit leisten“, sagte ein Apotheker.
Die Reaktion der Mediziner auf den telefonischen Hinweis sei sehr unterschiedlich gewesen. Manche hätten sich strikt geweigert, ein Betäubungsmittelrezept auszufüllen, und ihre abhängigen Patienten mit der lakonischen Bemerkung hängen gelassen: „Dann geht es eben nicht.“ Denn deutsche Ärzte hätten geradezu panische Angst, wegen des Verschreibens von Betäubungsmitteln in Verruf zu kommen. Allen voran hätten die „schwarzen Schafe“ unter den Ärzten Skrupel, die sich zuvor an ihren abhängigen Patienten durch das Ausstellen von Privatrezepten bereicherten.
Die Betäubungsmittelrezepte müssen in den Apotheken gesondert dokumentiert werden, was einen bürokratischen Mehraufwand bedeutet. Die hinzukommenden Umsatzeinbußen seien zu verschmerzen, aber deutlich spürbar, heißt es. Eine der City-Apotheken hat vor der Gesetzesänderung drei bis vier Liter Codeinsaft am Tag verkauft, die durschnittliche Tagesdosis von Codein-Substituierten liegt bei 20 bis 40 Millilitern. Jetzt gehen in derselben Apotheke nur noch ein bis zwei Liter am Tag über den Ladentisch. Ähnliches wird aus Kreuzberg berichtet. Eine noch größere Panikwelle der Drogenabhängigen erwarten die Apotheker am 1. Juli. Dann läuft die Übergangsregelung für Codein aus. Dann darf das Medikament selbst auf Betäubungsmittelrezepten nur noch in Ausnahmefällen verschrieben werden. „Bis dahin müssen die Patienten entweder clean sein oder in eine Methadon- Substitution überführt werden“, beschreibt ein Kreuzberger Apotheker das Dilemma: „Das schaffen die nie.“ Plutonia Plarre
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen