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„Interim“ acht Monate verzögert

Ermittlungen gegen Szenezeitschrift „Interim“ eingestellt. Trotz größter Polizeirazzia der Berliner Nachkriegsgeschichte findet Staatsschutz nichts gerichtlich Verwertbares. Betroffene: Ermittlungsakten öffnen!  ■ Aus Berlin Uwe Rada

Es sollte ein großer Schlag gegen die linksradikale Szene der Hauptstadt werden und endete mit einem ebenso großen Fiasko für Staatsschutz und -anwaltschaft. Acht Monate nachdem die Berliner Polizei mit einem Großaufgebot von 800 Beamten zwei Häuser, mehrere Wohnungen und zwei Druckereien durchsucht hatte, um die Hersteller der Szenezeitschrift Interim dingfest zu machen, hat die zuständige Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt.

Dies bestätigten gestern die Berliner Justizbehörden. Damit endete nach der Einstellung des radikal-Verfahrens im Oktober 1997 nun auch die zweite Großaktion der Ermittlungsbehörden gegen eine linksradikale Zeitschrift mit einer Schlappe für die Staatsschützer.

Während sich die Berliner Justizpressestelle gestern in Schweigen hüllte, forderten die insgesamt 13 Betroffenen, die zum Teil noch immer unter Verschluß gehaltenen Ermittlungsakten der Polizei und Staatsanwaltschaft nunmehr in Gänze offenzulegen. Immerhin ging der Razzia gegen die Interim am 12. Juni 1997 – der größten Berliner Polizeirazzia der Nachkriegsgeschichte – eine jahrelange Observations- und Ermittlungstätigkeit zunächst des Verfassungs- und später des Berliner Staatsschutzes voraus.

Das Interesse des für die Interim zuständigen Staatsschützers, eines Kriminalhauptkomissars namens Koch, galt dabei nicht nur der strafrechtlichen Verfolgung der in der Zeitschrift abgedruckten Bekennerschreiben und Bauanleitungen, sondern auch der Durchleuchtung der linken Szene in Berlin.

Bereits kurz nach dem Erscheinen der ersten Interim-Nummer im Mai 1988 hatte sich Koch der wöchentlich herausgegebenen Zeitschrift angenommen und in einem internen Papier über deren Bedeutung für die linsradikalen Strukturen West-Berlins räsonniert. Gleichwohl blieben zahlreiche Ermittlungsaktivitäten in den Jahren 1989, 1991 und 1994 ergebnislos.

Erst nachdem der Verfassungsschutz die Staatsschützer im Frühjahr 1996 tatkräftig mit eigenen Observationen unterstützte, konnten die Behörden einige Ermittlungserfolge verbuchen. Darunter befand sich die Adresse einer mutmaßlich an der Herstellung der Interim beteiligten Druckerei. Die wurde, nachdem der Verfassungsschutz den Kollegen vom polizeilichen Staatsschutz die eigenen Akten überlassen hatte, im August 1996 videoüberwacht. Möglich wurde dies, nachdem die Ermittlungsbehörden nach längerem Bemühen eine konspirative Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite mieten konnten. Die Pizzeria, in der sich die Observateure zuvor öfters aufgehalten hatten, hatte laut Ermittlungsakten einen Nachteil: Sie öffnete erst um 15 Uhr.

Der größte „Fahndungserfolge“, den die Staatsschützer zu dieser Zeit erzielen konnten, war dabei ein sichergestellter Müllcontainer, in dem sich laut Akten Druckabfälle der Interim befanden, sowie zahlreiche Überwachungsfotos, die schließlich nach fleißigem Datenabgleich mit dem Sündenregister der Berliner Autonomen in dreizehn Ermittlungsverfahren und die Razzia vom 12. Juni mündete. Der Vorwurf: „die Belohnung und Billigung von Straftaten“.

Doch auch die Beschlagnahme von 16 Computern und 2.178 Disketten half den Staatsschützern nicht weiter. Immerhin galt es, jedem der 13 Beschuldigten eine konkrete Beteiligung an Herstellung und Verbreitung der Zeitschrift nachzuweisen. Dies sei, so räumte gestern eine Justizsprecherin ein, nicht gelungen.

Aber auch sonst erwies sich der Schlag gegen die Interim eher als Schlag ins Wasser. Nicht nur die Berliner Szene neckte Polizei und Justiz in Folge der Razzia mit öffentlichen Redaktionssitzungen und dem pünktlichen Weitererscheinen der Zeitung. Auch ein Prozeß gegen zwei Hamburger Buchhändler vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten endete im August 1997 mit einem glatten Freispruch. Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte den Buchhändlern vorgeworfen, durch den Verkauf der Interim Straftaten zu billigen. Zustande gekommen war das Verfahren nach einem „Scheinkauf“ der Interim durch einen Hamburger Polizeibeamten.

Nach der Einstellung des nunmehrigen Verfahrens müssen die Ermittlungsbehörden den Beschuldigten nicht nur Computer und Disketten zurückgeben, sondern auch 750 Exemplare der Interim-Ausgabe Nummer 424 vom Juni 1997. „Die kommen nun eben acht Monate zu spät in den Handel“, kommentierte einer der ehemals Beschuldigten. Kommentar Seite 12

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