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Hearing„Für Privilegierte und Enthusiasten“

■ Anhörung: Was wird aus der Pauliner Marsch und dem Weser-Stadion?

„Jetzt weiß ich endlich, warum die Pauliner Marsch so aussieht, wie sie aussieht.“Die Anwohnerin aus dem Viertel hatte einen Erkenntnisgewinn: Für sie hat sich gerade erklärt, warum es kaum feste Bebauung in der Flußbiegung am Weserstadion gibt. Der Hydrologie-Experte Michael Schirmer von der Uni Bremen hatte ausgeführt, welche Rolle das Gebiet um das Weserstadion in einem Hochwasser spielen würde. Dann nämlich wäre die Marsch eine Art Überflutungsbecken, das die Stadt vor dem Überlaufen des Flusses schützt.

Gestern veranstaltete der Beirat Östliche Vorstadt ein Hearing, bei dem es um die „Zukunft des Weserstadions und die Entwicklung der Pauliner Marsch“ging. Gekommen waren jede Menge Anwohner, Kleingärtner, Segelbootbesitzer. Willi Lemke, Manager bei Werder Bremen, präsentierte auf dem Podium seine Zukunftsvision: „Das Weserstadion wäre doch eine wundervolle Adresse für Arztpraxen, Anwaltskanzleien oder ähnliches“. Ginge es nach ihm, würde das Gelände rund um das Stadion durch Dienstleistungen „ökonomisiert“.

Lemke wolle wohl nur „Knete machen“, kommentierte ein Anwohner. Ein Mitglied des Ortsbeirates warnte, daß der Versuch von Werder, sich „noch mehr Fläche anzueignen, nicht vom Tisch ist“.

Als es dann um den Naherholungswert der Marsch ging, kamen die Kleingärtner auf den Plan. Überlegungen, das Konzept der „Stadt am Fluß“auch auf die Marsch zu übertragen und den Fluß für Fußgänger leichter zugänglich zu machen, stießen auf eine entschlossene Abwehrfront der Schrebergärtner: Mit Hochwassergefahr könnten sie sich abfinden, nicht aber mit dem Anknabbern ihres Gebietes durch Stadtplaner. Einen „Neidkomplex“entdeckte ein Gärtner gar bei den „Stadt am Fluß“-Vertretern.

Derzeit sei der größte Teil der Marsch ein Raum für „Spezialisten, Privilegierte und En-thusiasten“, hielt Hans-Jürgen Schulke, Profesor an der Uni Bremen und Spezialist für Breitensport, dagegen. Das müsse geändert, die Gegend belebt werden. Sein Vorschlag: mehr kleine Flächen für Fitness-Center. Murren im Saal. „Absurde Vorstellung“, findet eine Anwohnerin. „Daß Menschen dann mit dem Auto in die Marsch fahren, um für eine Stunde in einem geschlossenen Raum Gewichte zu heben.“

„Wer hier baut, riskiert nasse Füße“war ein anderer Teil des Hearings überschrieben. Martin Gerken vom Wasserwirtschaftsamt erinnerte an eine Sturmflut, die gestern auf den Tag genau vor 36 Jahren das Wasser brachte. „Danach hat sich viel verändert, was die Vorsorge angeht.“Und auch Michael Schirmer erinnerte an die Gefahren für das Gebiet: Der Meeresspiegel wird höchstwahrscheinlich ansteigen. „Dann haben wir vielleicht nicht mehr alle 50 Jahre ein großes Hochwasser, sondern alle fünf Jahre. Dann bräuchten wir jeden Quadratmeter Wasserausweichsfläche.“

Ortsamtsleiter Robert Bücking war am Ende des Abends zufrieden. Die politisch entscheidende Frage sei, wieviel Spielraum den Interessen von Werder Bremen eingeräumt würde. Nun will er dafür sorgen,daß die Zukunft des Gebietes nicht mehr nur im Beirat diskutiert wird, sondern in der Bürgerschaft. „Die Stadt hat sich darum zu scheren.“ cd

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