Polizeireform droht abzustürzen

■ Landesschutzpolizeidirektor und Innenstaatssekretär versuchten an der Basis Überzeugungsarbeit für die Polizeireform zu leisten. Aber die Beamten ließen sie kalt auflaufen

Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert kämpfte am Dienstag abend allein auf weiter Flur, aber er schlug sich den Umständen entsprechend wacker. Als ihm zu vorgerückter Stunde Innenstaatssekretär Kuno Böse (CDU) zur Seite sprang, hatte sich der dritthöchste Mann im Polizeipräsidium beinahe schon den Mund fusselig geredet. Mit Engelszungen hatte Piestert auf die über 100 versammelten Polizisten eingeredet und sie „zum Durchhalten“ bei der Erprobung der Polizeireform („Berliner Modell“) beschworen: „Es gibt nur ein Nach-vorn. Kein Zurück.“ Aber die Gemeinde ließ Piestert wie Böse kalt auflaufen.

Daß es kein Heimspiel werden würde, war dem Landesschutzpolizeidirektor von vornherein klar gewesen. Wie berichtet wird die Reform seit einer Woche in der Direktion 5 (Neukölln und Kreuzberg) erprobt. Es gibt jedoch gravierende Probleme mit dem neuen Datenverarbeitungssystem. Ziel der Reform ist, daß die Schutzpolizei als sogenannte Kiezpolizei mehr Präsenz auf der Straße zeigen und zugleich verstärkt in die Kriminalitätsbekämpfung eingebunden werden soll, um die Kripo zu entlasten. Die Tatortberichte sollen die in Chrashkursen geschulten 1.600 Beamten der Direktion 5 nicht mehr wie bisher in ihre grünen Merkbücher schreiben, sondern direkt vor Ort in einen Laptop tippen. Weil das Programm aber nicht richtig funktioniert, verschwinden ständig Texte. Zur Sicherheit schreiben die Beamte den Bericht deshalb noch einmal mit der Hand, was doppelte Arbeit bedeutet. Auch mit den auf den Abschnitten stationierten Programmen zur Erstellung von Dienstplänen gibt es große Schwierigkeiten.

Die Computerprobleme, die schon den Beginn des Probelaufs verzögert haben, kommen den Gegnern des Berliner Modells innerhalb der Polizei sehr gelegen. Denn die Polizeireform bedeutet, daß der antiquierte 12-Stunden- Schichtdienst zugunsten einer flexibleren Arbeitszeit von acht bis zehn Stunden verändert wird. Die 12-Stunden-Schicht ist wegen des damit verbundenen großzügigen Freizeitausgleichs und besonderer Schichtzulagen aber ausgesprochen beliebt.

Die eher unbedeutende konservative Polizeigewerkschaft im Beamtenbund, DPolG, war schon immer Gegner der Reform. Ernster wird es für die Polizeiführung allerdings dann, wenn der Gesamtpersonalrat und die einflußreiche Polizeigewerkschaft GdP damit drohen, ihre Zustimmung zu dem Probelauf wegen der Software-Probleme aufzukündigen. Dies ist am Dienstag in einem Brief an Innensenator Jörg Schönbohm geschehen, in dem von „chaotischen Zuständen“ und einer „kalten Wut“ der Kollegen „auf die Verantwortlichen außerhalb der Direktion5“ die Rede ist. Wenn die Probleme innerhalb der nächsten Wochen nicht deutlich minimiert würden, so die Drohung an Schönbohm, „steigt die GdP aus dem Berliner Modell aus“.

Auch bei der Diskussion mit Landesschutzpolizeidirektor Piestert am Dienstag abend waren es vor allem die Gewerkschaftsvertreter, die sich zu Wort meldeten. Die einfachen Kollegen hätten aus Angst vor Sanktionen „keine Traute“, Kritik zu üben, sagte ein Sprecher des Gesamtpersonalrats. Deshalb sei Piestert bei seinen Besuchen in der Direktion5 zu Beginn des Probelaufs auch „eine heile Welt vorgegaukelt“ worden. Piestert empört: „Es ist erbärmlich, wenn Mitarbeiter auf Tauchstation gehen, wenn hohe Vorgesetzte kommen, und sich danach bei der GdP beklagen.“

Auch Innenstaatssekretär Böse appellierte eindringlich an die versammlten Polizisten, „durchzuhalten, bis in drei bis vier Monaten neue Software“ da sei. „Sonst“, so Böse vollmundig, „blamieren wir uns alle.“ – „Wir nicht“, antwortete die Gemeinde im Chor. „Aber Sie sind doch die Berliner Polizei!“ rief Böse schon fast verzweifelt. „Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, können wir es doch nicht ertrinken lassen!“ Plutonia Plarre