: Schwierigkeiten beim Käsebrötchenessen Von Susanne Fischer
Zugegeben, ich besuche die Cafés der nahen Kreisstadt sonst nur selten und schon gar nicht am frühen Morgen. Deshalb traf mich der speckgepolsterte Ellbogen einer stattlichen Seniorin eher unvorbereitet. Schon an der Eingangstür hatte sie sich an mir vorbeigedrängelt, trat dann mit sicherem Schritt auf das Tischchen zu, das ich mir ausgesucht hatte, und fühlte sich dabei unverkennbar im Recht. Nach Seniorinnenart behielt sie ihren ballonförmigen Wollhut auch nach dem Hinsetzen auf und faltete das Mäntelchen auf dem Stuhl neben sich. Ich hatte nun noch die Wahl zwischen einem Platz in einem dunklen Winkel, einem Stuhl im Zug und einem gemütlichen Eckchen zwischen Garderobe und Toilettentür. Da draußen nur minus fünf Grad herrschten, wählte ich den zugigen Platz. Dort konnte ich jedenfalls alles überblicken.
Im folgenden traten auf: drei befreundete Damen jenseits der 75, die über ihre Schwiegertöchter zu Gericht saßen und dabei fröhlich Schinkenbrötchen verzehrten, ein mittelalter Vertreter, der wie ich nur versehentlich hereingelassen worden war, mit dem Rücken zu allen anderen Personen saß und deshalb immerzu gehetzte Blicke über die Schulter warf, eine desorientierte 80jährige, die in einem fort Kuchen verlangte, obwohl nirgends welcher zu sehen war und auch die Kellnerin versicherte, das Gebäck werde erst um zehn geliefert, sowie die Hauptpersonen.
Hauptperson Nummer eins war männlichen Geschlechts, mindestens Ende 60 und sprach aufgrund einer Kehlkopfoperation mit Hilfe eines Apparates direkt aus dem Hals. Die Stimme klingt so wie eine Computerstimme aus einem schlechten Science-fiction-Film, was sicherlich nicht sehr schön für den Sprecher ist. Obwohl die Kellnerin ihn mühelos verstand, war der Mann denn auch keineswegs zufrieden. Das kann man ja nicht sein, wenn einem der Schnodder fußhoch im Halse steht und man minutenlang sehr laute Geräusche machen muß, um ihn loszuwerden. Der Käse auf meinem Brötchen sah plötzlich ungesund gelb aus.
Als Hauptperson Nummer zwei agierte meine Ellbogenkämpferin. Sie starrte den röchelnden Mann fasziniert an, entzündete seelenruhig eine Zigarette und blies genüßlich den Rauch in seine Richtung. Meines Wissens bekommen nur Kehlkopfkrebskranke einen Sprechapparat, und nur Raucher bekommen Kehlkopfkrebs. Als die unternehmungslustige Dame allerdings bemerkte, daß mir ein Käsebrötchen serviert worden war, pustete sie großzügig einige Wolken zu mir herüber, und der Käse sah mit einem Schlag unangenehm fahl aus.
Der Vertreter verließ nun fluchtartig das Lokal, während die Saalälteste unverdrossen und erfolglos Kuchen verlangte. Hauptperson Nummer drei, die völlig verhutzelte Freundin von Nummer zwei, schleppte sich jetzt ins Café und sank an den Tisch. „Daß du es noch bis hierher schaffst, hätte ich nie gedacht“, strahlte Nummer zwei das wandelnde Totenhemdchen an. „Die Spritzen helfen überhaupt nicht“, wandte Nummer drei auch gleich begütigend ein, „ach, habe ich Schmerzen!“ „Ja, das Alter bringt uns Krankheit!“ rief befeuert die Rauchverteilerin und blickte sich triumphierend im Raum um. Und mein Käsebrötchen sah plötzlich ungewöhnlich tot aus.
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