: "Ich glaube nicht an die Interaktivität"
■ Der Künstler Alexei Shulgin ist Russe. Als er genug hatte vom Ausstellungsbetrieb und den Kuratoren in der analogen Welt, ging er ins Internet. Seine Kunstwerke für das World Wide Web spielen mit d
taz: Sie sind seit Ende der 80er Jahre als Künstler in der Moskauer Szene aktiv und haben schon mehrere Ausstellungen im Ausland gehabt. Was interessiert Sie denn am Internet?
Alexei Shulgin: Meine erste Erfahrung mit dem Internet habe ich 1994 gemacht, als ich online eine Galerie mit russischer Fotokunst eingerichtet habe. Es gab damals eine große Ausstellung mit russischer Fotografie in Deutschland. Einige sehr interessante Projekte und Arbeiten wurden nicht gezeigt, weil die Kuratoren zu ignorant waren. Ich war zu der Ausstellung eingeladen worden, aber ich fand, daß mit dem ganzen Konzept etwas nicht stimmte. Darum schlug ich vor, eine Art Anhang zu der Ausstellung im Internet zu machen. Ich hatte gerade erst herausgefunden, daß es dieses Medium gab. Ich habe eine Site mit dem Namen „Hot Pics“ mit den Arbeiten von übersehenen Fotografen eingerichtet. Aus finanziellen Gründen wurde sie nicht in die Ausstellung aufgenommen, aber es war eine der ersten Ausstellungen mit künstlerischer Fotografie, die es überhaupt im Netz gab.
Die Szene der Netzkünstler ist zwar international, aber doch überwiegend in Westeuropa und den USA zu Hause. Fühlen Sie sich ausgeschlossen, weil Sie aus dem ehemaligen Ostblock kommen?
Nein, ich empfinde es so, daß ich jetzt viel mehr dazugehöre. Als ich bloß ein Künstler war, der in Moskau lebte, wurde alles, was ich machte, als „russisch“ oder „östlich“ betrachtet. Meine ganze Arbeit wurde in diesen Kontext gerückt. Dabei fand ich eigentlich nie, daß das, was ich mache, spezifisch russisch ist. Im Netz ist der physische Raum nicht wichtig. Alles passiert nur auf dem Computermonitor, und es ist egal, von wo die Daten kommen.
Darum gibt es auch viele Mißverständnisse. Die Leute kommen durcheinander, weil sie nicht wissen, was sie von den Daten halten sollen, die sie bekommen. Ist das nun Kunst, oder nicht? Sie wollen wissen, in welchem Kontext die Arbeit steht, weil sie ihren eigenen Augen nicht trauen.
Obwohl im Internet jeder seine Kunstwerke zeigen könnte, ist der Kreis derjenigen, die das tatsächlich tun, sehr klein. Warum?
Weil man mit Netzkunst kaum Geld verdienen kann. Denn man hat nichts zu verkaufen. Sogar Künstler, die zu großen Ausstellungen wie der documenta eingeladen werden, bekommen dafür kaum Geld. Das macht man aus purem Enthusiasmus, und das gefällt mir daran. Es ist ein Anfang, die allerfrühste Phase.
Wenn man als Künstler mit neuen Technologien arbeitet, sind die ersten Jahre immer die aufregendsten. Sehen Sie sich die Fotografie an: Als der 35-Millimeter- Film erfunden wurde, gab es Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre diese Explosion der Kunstfotografie. Die haben sich keine Sorgen darum gemacht, wie das ins Kunstsystem passen würde. Sie haben mit dem Medium experimentiert, und tolle Resultate erzielt. Mit Video war es dasselbe. Die heutige Videokunst interessiert mich überhaupt nicht. Künstler benutzen Video als ein Mittel, um sich selbst auszudrücken. Ich glaube nicht an künstlerischen Selbstausdruck.
Warum nicht?
Weil es schon zuviel Information gibt. Ich brauche nicht noch mehr davon. Dasselbe gilt für Bilder. Darum finde ich es interessant, Bilder, die es schon gibt, zu recyceln, denn ich glaube, daß die Welt mit Bildern überfrachtet ist. Wir haben mehr Bilder als genug, und darum geht es nun um Auswahl, Sammeln und Distribution.
Ich habe den Eindruck, daß viele Netzkünstler nur im Internet arbeiten, weil sie damit die normalen Kunstinstitutionen umgehen können.
Ja, auch für mich war das eine Methode, der Art und Weise zu entgehen, in der ich in einen bestimmen Zusammenhang gerückt wurde. Ich war auch dieser ganzen großen Ausstellungen müde, von denen die Künstler überhaupt nichts haben, sondern nur die Kuratoren.
Manche behaupten, daß die Interaktivität die Netzkunst von anderen Kunstformen unterscheidet.
Ich glaube nicht an Interaktivität, weil ich finde, daß Interaktivität eine sehr einfache und offensichtliche Methode ist, die Leute zu manipulieren. Bei den sogenannten interaktiven Kunstwerken heißt es immer: „Oh, das ist sehr demokratisch! Mach mit! Schaffe deine eigene Welt. Klicke auf diesen Schalter, und du bist genauso Schöpfer des Werks wie ich.“ Aber das stimmt nie. Es steckt immer der Künstler mit seinem Namen und seiner Karriere dahinter, der die Leute dazu bringt, in seinem Namen auf Knöpfchen zu drücken.
Bei Ihrem Projekt „Refresh“ muß man das wirklich nicht mehr tun. Trotzdem ging es dabei um eine Art von Kollaboration über große Entfernungen hinweg. Sie haben einen relativ unbekannten HTML-Befehl verwendet, der eine Seite nach einer bestimmten Zeit neu lädt und dann zur nächsten Seite weiterschaltet. Daraus ist eine Kette von Homepages in der ganzen Welt entstanden, die nacheinander auf dem Computermonitor des Betrachters erscheinen, ohne daß er irgend etwas dazu tun muß.
Aktionen wie „Refresh“ drehen sich eher um Kommunikation als um die Repräsentation wie bei traditionelleren Kunstformen. Für so etwas ist das Internet perfekt. „Refresh“ ist eine Kooperation zwischen Leuten, die in verschiedenen Ländern leben und aktiv im Netz sind. Das sind nicht unbedingt Künstler. Von vielen von ihnen hatte ich vorher noch nie etwas gehört.
Aber „Refresh“ funktioniert inzwischen nicht mehr richtig. Stört Sie das?
Nein. Ehrlich gesagt, hatte ich gedacht, daß es schon viel eher zu funktionieren aufhören werde. Aber es wurde größer und größer, und eine Zeitlang ging es über 30 Seiten.
Aber sind nicht gerade auch einige andere Ihrer Projekte besonders interaktiv? Für „Desktop“ beispielsweise haben Sie sich Schnappschüsse von Computermonitoren zuschicken lassen. Und Ihre „Form Art“ ist ein Spiel mit den HTML- Standardelementen für Eingabefelder, die jeder benutzen, anklicken oder beschreiben kann. Allerdings geschieht danach nicht viel, aber angeblich haben Sie diese neue Kunstrichtung erfunden...
Bei Sachen wie „Refresh“, „Form Art“ oder „Desktop“ konnte jeder mitmachen. Das stimmt. Aber ich bin dabei ehrlich. Ich sage nicht: Schickt mir eure Arbeit, und ich werde sie zeichnen. Ich habe „Form Art“ wie einen Wettbewerb organisiert, bei dem es einen Geldpreis von 1.000 Dollar gab. Ich wollte, daß das wirklich ein gleichberechtigter Austausch wird. Die Künstler arbeiten für mich, und ich gebe ihnen Geld dafür. Ich finde, das ist wesentlich fairer als das, was viele dieser sogenannten interaktiven Künstler tun. Interview: Tilman Baumgärtel
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