piwik no script img

Verdrängungsmetamorphosen

■ Puristik und Irritation: Uraufführung von Jan Puschs „Das Schweigen der Rollen“

Der Mann im grauen Anzug. Ist Mineraloge, Direktor, Pathologe, Verschütteter. Und Schauspieler, natürlich. Ein nettes Wesen, wie er selbst weiß, „bürgerlich, verklemmt, ängstlich... nur ein halbes Leben davon entfernt, ein Mensch zu sein“. Bis es soweit ist – und ein halbes Leben ist eine verdammt lange Zeit, wenn man die Hälfte seines Lebens bereits hinter sich hat – ist er Mann im grauen Anzug. Einer, viele: ein Schauspieler.

Das Schweigen der Rollen heißt die Produktion des Schauspielers Ulrich Cyran mit dem Choreographen und Regisseur Jan Pusch, deren Irritation schon mit dem Untertitel beginnt: „Solo für tausend Schauspieler“. Diese Tausend ist Cyran, und statt zu schweigen, redet er eine gute Stunde durchgehend. Eine Rolle nach der anderen wird durchgespielt, verworfen und wiederaufgenommen. Ohne Rolle wäre er nackt, und davor fürchtet sich der Mann im grauen Anzug. Weil er ahnt, daß es mit den Verdrängungsmetamorphosen nicht getan ist: Wie der Ibsenschen Zwiebel könnte es ihm gehen, die Schicht um Schicht entkleidet wird und am Ende keinen Kern hat. Nicht als Nihilist geboren, weiß er, was zu tun ist: „Kein Zweifel – ich muß mich improvisieren.“

Cyran und Pusch haben bereits in mehreren Projekten zusammengearbeitet, doch ist dies das erste, in dem Cyran allein auf der Bühne steht und Pusch sich allein auf die Theaterregie beschränkt. Keine Tänzer, keine Show: Ein Pult, ein Sessel, vier Lautsprecher, acht Scheinwerfer und ein Text bestreiten den Abend. Eine überraschende Reduktion, nicht nur was Puschs Biographie betrifft, der noch im Dezember in Until the cows come home vier TänzerInnen, eine Sängerin und zwei Musiker neben dem Schauspieler in das Bühnengeschehen involviert hatte. Auch verglichen mit der allgemeinen aktuellen Tendenz des jungen Theaters, diverse Medien in Stücken zu benutzen, mit- und gegeneinanderspielen zu lassen und aufkeimender Stringenz umgehend mit lebensnahen Brüchen zu begegnen, wirkt Das Schweigen der Rollen in seiner Puristik fast wie ein frühes Reifewerk, das das alte Thema des Lebens als Theater ernsthaft diskutieren will.

„Den Stoff findet jeder, Gehalt nur, wer etwas dazutut. Die Form ist das Geheimnis“, weiht Cyran gleich zu Beginn in einer Rede an „die Freunde der Mineralogie“ein. Da ist die Form noch irritierend, weil Pusch die Gänge des Schauspielers unnötig choreographiert hat und dieser die Arme allzu pathetisch über dem Handy zusammenschlägt. Doch je länger die Vorstellung dauert, desto mehr legt Cyran das Vorführen ab und zwiebelt sich förmlich in den multiplen Rollenträger auf der Bühne, dessen tiefste Sehnsucht es ist, nichts mehr darzustellen. Der Schlußmonolog des Spielers als Verschütteter auf der Fallreise zur Konkretion des Erdballs zieht das konzentrierte Publikum mit in die Tiefe. Da geht das Licht an. „Ich fand Sie gut“, lächelt der Schauspieler. Christiane Kühl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen