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Die Kosten der Freiheit

Langzeitbeobachtung und Gruppenporträt: Harald Rumpf hat sich unter Münchner Obdachlose gemischt und die „Münchner Freiheit“ gedreht – ein Anti-„Rossini“  ■ Von Jörg Magenau

„Ich bin die Freiheit gewöhnt“, sagt Güni einmal. Doch die Gewöhnung kostet. Die Freiheit des Obdachlosen ist teuer; sie gräbt sich in die Körper und zeichnet die Gesichter. Zwölf Jahre lang hat der Münchner Harald Rumpf das Leben von sechs Menschen auf der Straße rund um die „Münchner Freiheit“ mit der Kamera beobachtet. Unauffällig war er dabei, die Hauptfiguren scheinen ihn als einen der ihren akzeptiert zu haben. Sie sprechen mit ihm und zeigen ihre Nöte, ohne sich darstellen zu müssen. Harald Rumpf, Journalist, Fotograf, Dozent für Fotografie und Gründer der Obdachlosenzeitung Biss, gelingt so in seinem ersten Film ein einfühlsames Gruppenporträt, das nie ins Voyeuristische oder ins Sentimentalische abkippt.

Filmtechnisch ist es manchmal an der Grenze des Zumutbaren, weil man in der kontrastarmen Unterbelichtung besonders in der ersten halben Stunde Mühe hat, alles zu erkennen. Aber darauf kommt es in Filmen wie diesem nicht an. „Münchner Freiheit“ ist schließlich nicht „Rossini“, ist vielmehr eine Art Gegenfilm dazu: München, die andere Seite. Es gibt eben doch nicht nur fickerige Produzenten, schmierige Kellner und karrieregeile Mädels.

Im Mittelpunkt der „Münchner Freiheit“ steht Güni. Am Anfang wohnt er in einem Bauwagen am Stadtrand. Da zeigt er stolz sein Bett, seinen Schrank, seine Medizin: „Alles meins.“ Aber bald ist der Wagen wieder weg. Bei Güni kann man sehen, wie schnell die Menschen auf der Straße altern. In zwölf Jahren wird aus dem kräftigen Mann ein klappriger Greis mit Zusselbart. Mit einem offenen Bein kommt er ins Krankenhaus; dort werden ihm gleich alle Zähne gezogen, sicherheitshalber. Güni beklagt sich nicht, mümmelt jetzt aber nur noch, statt zu sprechen. Er bekommt ein Bett in einem Männerwohnheim, aber wenn er nur kann, geht er wieder raus auf die Straße und stellt sich da hin, wo er früher immer stand, weil er das braucht, die Freiheit.

Dann gibt es da noch Peter, den alle nur Stalin nennen, weil er eine so große Nase hat, und Steffi, die zusammen in einem Ein-Zimmer- Appartement wohnen und sich gemeinsam Tag für Tag betrinken. Ein ziemliches Scheißleben, und das wissen sie auch ganz genau. Steffi beschreibt ihren Zustand messerscharf, und Stalin erinnert sich an ein anderes Leben, als er noch Studiotechniker beim Fernsehen war und extreme Bergtouren unternahm.

Oder James und Melissa, ein seltsames Paar: er ein hilfloser, tätowierter, zärtlicher Kraftbolz und sie eine blonde Engländerin aus gutem Hause, die ganz und gar deplaziert wirkt unter den struppigen Männern von der Straße. Aber sie liebt James, man begreift nicht so genau, warum, aber so ist die Liebe. Irgendwann gehen die beiden nach England, Melissa macht dort eine Entziehungskur und trennt sich von James. Als der alleine zurückkehrt, hat er allen Lebensmut verloren. In einer der eindrucksvollsten Szenen, es ist Silvester, sitzt James wie betäubt auf einer Türschwelle, kippt nach vorne weg, und seine Freunde müssen ihn aufrichten, ihn festhalten und ihm Mut zusprechen: Das ist doch so kein Leben, sagen sie, da kannst ja besser gleich sterben.

Es gibt, das zeigt der Film, durchaus Solidarität unter den Depravierten. Manchmal sitzen sie am Isarufer, machen ein Feuer und decken auf einem Stein festlich den Tisch, mit Besteck und allem Drum und Dran. Aber der Film zeigt auch die Einsamkeit jedes einzelnen, den Streit zwischen ihnen, die Müdigkeit im Überlebenskampf. Aber alle würden sie doch den Satz unterschreiben, den Hans, genannt „Klappstuhl“, sagt: „Das Wesentliche im Leben habe ich auf der Straße gelernt.“

Forum: heute, 14 Uhr, Delphi; 21 Uhr, Kino 7 im Zoo Palast; 21.2., 20 Uhr, Arsenal; 22.2., 12 Uhr, Akademie der Künste

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