piwik no script img

Die Herzensschönen

Aus der Berliner Subkultur in die weite Welt des Pop: Das Duo „Rosenstolz“ singt am Donnerstag mit Siegeschancen beim Schlager-Grand-Prix  ■ Von Jan Feddersen

Peter Plate ist ein bemerkenswert schöner Mann. Sehr blaue Augen, kurze Haare, schlanker, aber kein abgehungerter Körper. Irgendwie auch nervös, also ziemlich uncool. Das macht ihn sympathisch. AnNa R. sitzt neben ihm in diesem Berliner Café, trägt damenhaft purpurrote Plastikrosenblätter an den Fingern und raucht Kette.

Zusammen sind sie das Popduo „Rosenstolz“. Sie haben viele Gründe, aus der Fassung zu geraten. Ihnen sitzt eine Crew vom NDR gegenüber, die mit den beiden die gröberen Details ihres Auftritts bei der deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix d'Eurovision abstimmen wollen.

Und während der Regisseur und sein Assistent gelassen Kamerapositionen, Bühnenlicht und die passende Auftrittsgarderobe erörtern, sagt Peter Plate ganz unprofessionell: „Sie sind ja sehr freundlich.“ Was er meint, ist, daß „die sich vom NDR solche Sorgen um uns machen“. In anderen Sendungen liefe „das ganz anders, die stellen einen vor die Kamera und sagen nicht, ob's okay ist oder nicht“. Ein anderer am Tisch rät, „direkt in die Kamera zu flirten, das bringt's“. Beide nicken bereitwillig.

Sie zählen zu den Hoffnungsträgern der Grand-Prix-Macher vom NDR, die ihre Sendung unbedingt vom Muff früherer Jahre befreien wollen. Und sie zählen bei der Polydor, der seit 50 Jahren mächtigsten Musikfirma mit deutschsprachigem Repertoire, zu den wichtigsten Künstlern, die das Genre des deutschen Schlagers wiederbeleben sollen. Per Handy erfährt Peter Plate just, daß der Promotionetat von „Rosenstolz“ verdoppelt wurde.

„Hast du das gehört?“ fragt er AnNa R. Beide gucken sich an und scheinen erst jetzt zu ahnen, daß die Zeiten vorbei sind, als sie durch Berliner Klubs tingelten und nur hofften, mit ihrer Musik einmal „echtes Geld“ (AnNa R.) zu verdienen. „Rosenstolz“, so sieht es in dieser Sekunde aus, scheint das allerdings nicht nur zu freuen. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, für Deutschland zu singen“, sagt AnNa R. plötzlich, „ich meine, das Gefühl, mein Land zu vertreten... Vor aller Welt... Das müßte ich erstmal verkraften.“

Auch Peter Plate sieht aus, als trüge er nun eine Bürde. Dabei waren sie ja längst fällig für den großen Auftritt. „Gekonnter Kitsch“, lobte der Stern das Duo und Allegra entdeckte in beiden „Romeo und Julia in Zeiten der Laserdisc“. Viel Lorbeer für zwei schmale Schultern.

Getroffen haben sich beide Anfang der neunziger Jahre. Sie – eine lustlose Musikalienhändlerin, die in Ostberlin geboren wurde; er – geboren in Neu-Delhi, aufgewachsen in Westdeutschland, angefangenes Sozialpädagogikstudium. Erste Auftritte in Westberliner Klubs. Hin und wieder sogar Applaus. Sie singt operettengeschult, er mehr hauchend. Tingeleien in Ostdeutschland, mehr und mehr Beifall. Ihre Musik hört sich an wie eine Mischung aus New-Wave-Pop und Belcanto. Sie lieben spitze, weiche Violinentöne und outrierte Gesten – ganz würdige Erben des besseren Schlagers. Voriges Jahr haben sie ihre Memoiren – wofür es ja nie zu früh ist – veröffentlicht: „Lieb mich, wenn Du kannst, nimm mich, nimm mich ganz.“

Peter Plate sagt, daß er ohne Abba seine Jugend kaum unbeschadet überstanden hätte. Und AnNa R. lächelt ihn für diese nette Bemerkung an, meint aber, daß man nun nicht über die berühmtesten Grand-Prix-Gewinner weiter sprechen wolle. Wahr ist aber, das dementiert der junge Mann nicht, daß es sein Traum schon immer war, beim Grand Prix d'Eurovision einmal mitzumachen.

Fünf CDs haben „Rosenstolz“ bislang veröffentlicht, angefangen 1992 mit „Soubrette werd ich nie“, kürzlich „Die Schlampen sind müde“. Der NDR-Regisseur ist irritiert. Schlampen? Ist das nicht frauenfeindlich, wenigstens mißverständlich? „Nö“, sagt AnNa R., „finde ich nicht, für mich sind das Frauen, die ungebrochen durchs Leben kommen wollen, die fallen und wieder aufstehen.“ Offenbar müssen sie sich erklären. Wer versteht schon, daß ihre Lieder von existentiellen Dingen handeln wie Sex ohne Liebe und Liebe ohne Sex? Von Eifersucht, Kummer, Einsamkeit in der Großstadt? Ihre Texte lesen sich nicht wie Konfektionsware: „Ich lieb' es anonym /Wenn zwei sich gut verstehn / Der Weg, er ist nicht weit / Wir haben jetzt noch Zeit / Das Leben ist zu kurz.“

Ihr Grand-Prix-Lied heißt „Herzensschöner“ und wurde mit 120 Geigen aufgefönt. Eine Ballade, heißt es, nicht zu süßlich, als daß sie einen Kater zurückließe. Was „Rosenstolz“ den neun rivalisierenden Beiträgen gegenüber auszeichnet, ist, daß ihre Musik wie Pop klingt – und sich nicht nur wie Pop ausgibt. AnNa R. und Peter Plate fallen sich am Ende ins Wort. Er mit Blick auf den Bremer Auftritt: „Ich glaube, mir wird übel.“ Und sie: „O mein Gott.“ Zusammen aber hoffend: „Wir werden sicher viel Spaß haben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen