: „Wenn die wüßten“
Das freiwillige ökologische Jahr ist für viele Teilnehmer auch die erste Erfahrung mit real praktizierter Politik ■ Von Esther Kogelboom
„Ich habe schon in der Schule davon gehört und wollte das seitdem machen“, meint der 21jährige Andreas Hechler. Seit September 1997 macht er ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) bei der BUNDjugend Berlin. Er engagiert sich in Arbeitskreisen zu den Themen Verkehr und „Eine Welt“ und hat selbst eine Gruppe ins Leben gerufen, die sich mit Ökofaschismus auseinandersetzt. Um die Mittagszeit beginnt er mit seiner Organisationsarbeit im Archiv. Außerdem richtet er eine Leseecke mit aktuellen Publikationen ein.
„Ich habe bis jetzt eine Menge Einblicke in umweltpolitisches Arbeiten bekommen“, meint Andreas. Einsätze zum „Kröten über die Straße tragen“ oder Äcker umgraben findet er nicht so interessant. „Wir waren zweimal im Britzer Garten, um für die Presse Blumenzwiebeln zu stecken.“
Das Arbeitsklima gefällt ihm. „Ich find' die Leute von der BUNDjugend alle sehr nett.“ Trotzdem wünscht sich Andreas mehr Transparenz: „Die Kommunikation klappt nicht so gut; die Strukturen sind manchmal unklar.“ Mit seinem Gehalt von 780 Mark monatlich komme er gut aus: „Ich wohne aber noch bei meinen Eltern.“
Sein Einsatzort, die BUNDjugend, ist Andreas von der Stiftung Naturschutz vermittelt worden. Die Stiftung Naturschutz ist der größte Träger des FÖJ in Berlin und bezieht Gelder von Europäischer Union (EU), Land und Bund. Jährlich gehen in Berlin etwa 500 Bewerbungen ein, von denen 60 junge Abiturienten und Realschulabgänger ausgewählt werden. Für Hauptschüler gibt es die Möglichkeit, ein „Ökologisches Jahr“ zu machen. Insgesamt gibt es in Berlin 113 Stellen, die unter anderem noch von der Vereinigung junger Freiwilliger, der Zentralstelle für soziale Dienste und dem Jugendwerk Aufbau Ost betreut werden. Die freiwilligen Ökologen müssen an mindestens 25 Tagen ihrer Einsatzzeit Seminare zu umwelt- und entwicklungspolitischen Fragestellungen mitmachen.
Auch Heide Schinowsky hat sich bei der Stiftung Naturschutz beworben und arbeitet jetzt nach ihrem FÖJ ehrenamtlich bei der BUNDjugend weiter. Im Moment studiert sie evangelische Theologie und meint rückblickend auf ihr FÖJ: „In der Schule fehlte mir das Gefühl, wirklich etwas zu bewegen. Bei der BUNDjugend habe ich gelernt, Schwellenängste abzubauen und aktiv Politik zu machen. Heide hat bei der BUNDjugend im Vorstand mitgearbeitet und beobachtet eine gewisse Parallelität zwischen Gemeindeleben und Umweltpolitik.
Während ihres FÖJ hat sie Aktionen zum 10. Jahrestag der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl geplant und eine Kindergruppe geleitet. „Ich habe mitbekommen, daß man in der Politik einiges abkönnen muß und auch mal mit Leuten zusammenarbeitet, die man nicht mag. Außerdem habe ich kein Verständnis mehr für Politikverdrossenheit, für Leute, die einfach nur danebenstehen und meckern. Politische Arbeit kann zwar sehr mühsam sein, aber es ist möglich, etwas zu bewegen.“ Heide würde das FÖJ „glatt noch mal machen. Es ist richtig gut, daß es das gibt.“ Ein Freiwilliges Soziales Jahr kam für sie nicht in Betracht: „Ich will nicht sozial sein, sondern Politik machen.“
Bundesfamilienministerin Claudia Nolte (CDU) im Vorwort einer Broschüre zum Thema FÖJ: „Bei vielen jungen Menschen ist der Eindruck entstanden, man könne zu wenig bewegen, das eigene Engagement lohne sich nicht.“ Die eigenen Ideen dem „Härtetest der Praxis“ zu unterwerfen eröffne nicht nur neue realistische Einsichten, sondern vermittle ihnen auch Selbstbewußtsein, wenn sie Erfolg haben. Darauf Heide: „Wenn die wüßten, was die mit ihrer Staatsknete hier fördern!“
Ein FÖJ kann jeder/jede im Alter von 16 bis 27 Jahren machen. Verlangt wird Realschul- oder Hauptschulabschluß. Die Teilnehmer dürfen in keinem Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnis stehen und müssen ganztägig an fünf Tagen in der Woche arbeiten. Die Freiwilligen erhalten ein monatliches Entgelt, das sich aus Taschengeld, Zuschüssen für Unterkunft und Verpflegung, Fahrtkosten und Kleidung zusammensetzt. Bezahlten Urlaub gibt es an 26 Tagen im Jahr; die Eltern erhalten weiterhin Kinderfreibeträge. Versicherungen werden vom Träger direkt abgeführt.
Interessenten können sich bei der Stiftung Naturschutz Berlin, Freiwilliges Ökologisches Jahr, Potsdamer Str. 68, 10785 Berlin, bewerben.
Wer bei der BUNDjugend mitmachen will, meldet sich im Jugendumweltladen, Jagowstr. 12, 10555 Berlin, oder schickt eine E-Mail an: Juckreiz6JPBerlin.BerliNet.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen