Ewig Leuchtendes zieht sie hinan

Voll im Sphärenklang: Drei Regiestudenten mit drei frühen Einaktern von Friedrich Wolf zu Gast im Theater am Ufer  ■ Von Petra Kohse

Wo ging's gleich noch mal zum Theater am Ufer? Vom U-Bahnhof Möckernbrücke aus nach rechts, weil's vom Halleschen Tor aus nach links ging oder umgekehrt? Wenn die Premieren hier schon so selten sind, wäre ein Hinweisschild ganz nützlich. Auch diesmal stand noch keine neue Arbeit von Hausherr Andrej Woron mit dem Teatr Kreatur auf dem Plan, sondern drei kurze Inszenierungen von drei Regiestudenten der Ernst-Busch-Schule im dritten Studienjahr. Mit Darstellern des Teatr Kreatur und anderen.

„Elemente“ von Friedrich Wolf: ein Zyklus von Einaktern aus dem Jahr 1921, dessen expressionistische Bewegtheit schon den Titeln zu entnehmen ist. „Fegfeuer“, „Flut“, „Äther“. Ob im Feuer, im Wasser oder in der Luft – das ewig Leuchtende zieht die Figuren hinan. In Kleinkriminellen erwacht das große Sehnen, während ihr Anführer ihnen die Verachtung der Menschen predigt. Ein Deichhauptmann lernt, das Meer in und um sich fließen zu lassen (neue Liebe, neues Glück!). Und ein Astronom hat jahrelang den Erscheinungstag eines neuen Sterns berechnet, verschläft den Augenblick aber dann, während sein Assistent das Ereignis in sich spürt und ahndet. Drei Szenen voller „Er kommt!“, „Zu mir!“ oder „Wir sind voll Sphärenklang!“ Jugendliches Aufbegehren gegen allalles, das es schon gibt. Sympathisch im Drängen, schwer erträglich in Ton und Detail.

Vielleicht nicht das Falsche für drei Regisseure aus der Nachwuchsklasse, um zu zeigen, daß sie da sind und wo sie stehen. Anja Dirks, Britta Geister und Markus Joss. Die drei Bühnenbilder für ihre drei Akte stammen aus einer Hand, von Kerstin Laube, und zielen mit tückischen Engen, stürzenden Schrägen und einer Kugel auf die klassische „Metropolis“-Geometrie. Auch die Kostüme von Petra Schmidt und Grynet Gräbner sind von fast pathetischer Eindeutigkeit, wenn Hellgrün und Schwarz auf blauem Boden, wenn Tang und Teer im Wasser zusammentreffen: der Kampf von Gut und Böse um die Seele.

Den ersten Teil, „Fegfeuer“, hat Anja Dirks versucht, mit einigen Protagonisten des Teatrs Kreatur auch andeutungsweise in dessen Stil als expressive Typenkunde zu modellieren. Der Mime Dzidek Starczynowski ruckt als sich mühsam zügelnder Schlägertyp herum, Wicki Kalaitzi zuckt eine drogensüchtige Hungermaus, und Danuta Kisiel leuchtet am Ende als Madonna mit Kind gar eine Epiphanie. Ein sogenanntes Tableau auf schräger Ebene, Anspannung, Entladung, Verbrechen, Mord, Festnahme in drei Minuten, dazwischen ein Aufschrei: O Mensch.

Merkwürdig, daß Dirks bei diesem Stoff so distanzlos bleiben kann. Allenfalls die Marienerscheinung am Ende ist Ironie im Kitsch, der Rest müht sich ernsthaft. Nur ein einziger Darsteller vermag seine Figur sowohl zu präsentieren als auch zu zitieren: Wolfgang Boos, der als Jungganove Blut vom Bandenchef zu einem Mord gezwungen wird, dabei aber seine Liebe zur Menschheit entdeckt. Auch im dritten Teil, „Äther“, zeigt Boos als junger, glühender Assistent des Astronomen eine beachtliche Kraft, Kontur und Konzentriertheit.

Schön in der „Äther“-Inszenierung von Markus Joss ist, wie er Boos und Wicki Kaleitzi als Frau des Astronomen formelhaft wie an Seilen über die Bühne zerrt und zurrt, während Bernd Ludwigs souveräner Astronom psychologisch gestaltet ist. Die stilbildende Besetzung wird zum Programm: der Generationenwandel ist auch eine Frage der Ästhetik, wobei die Kraft des Neuen gegenüber der Geschmeidigkeit des Alten nicht unbedingt im Vorteil ist.

Britta Geisters „Flut“ schließlich, der Mittelteil des durch Umbaupausen recht länglichen Abends, zeigt eine nette Überspanntheit in der Figurenzeichnung. Susanne Capurso und Sylvie Rühl sind die hysterisch vertrocknenden Frömmlerinnen, Susan Raymond ist dagegen skandinavisch natürlich und nur Franz Wacker als Deichhauptmann auf schwammige Weise hölzern. Zwei Puppen spielen mit, und vom Puppenspiel ist auch Geisters Stil geprägt. Die Darsteller schlackern und schlängeln über die Bühne, schnappen ihr Essen aus der Luft, und überhaupt hat alles eine Puppenkistenplötzlichkeit.

Spürbar ein Studentenprojekt, arbeiten sich alle drei Regisseure leider zu sehr an den Texten ab, statt mit ihnen zu spielen. Ein je eigener Stil ist ahnbar, wird aber zu nichts verwendet. Der Zuschauspaß also ist ein eher minderer. Die Premiere wirkte gewissermaßen wie ein Intendantenvorspiel, zumal auch einige Intendanten und Dramaturgen versammelt waren.

Bis 9.3., Do.–Mo., 20 Uhr, Theater am (Tempelhofer) Ufer (10)