Die Hamburger Genossen lassen Voscherau im Stich

■ Ausgerechnet die SPD-Rechte ließ den ehemaligen Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau fallen. Bei der Listenaufstellung zur Bundestagswahl wurde er gar nicht erst gefragt

Hamburg (taz) – Kaum ist aus dem Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) nach seiner Wahlniederlage im September wieder ein gewöhnlicher Notar geworden, lassen seine einstigen Parteifreunde ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Der ehemalige Regierungschef des Stadtstaates wollte für den Hamburger Wahlkreis 12 als Bundestag-Direktkandidat antreten. Doch sein eigener rechter Flügel ließ ihn auflaufen: Sie fragten ihn einfach nicht.

Wer Voscherau kennt, wußte, daß er sich nicht wie ein gewöhnlicher politischer Newcomer um eine Kandidatur bewerben würde. Am Donnerstag abend erklärte Voscherau seinen Verzicht. Er sei „enttäuscht“ und fühle sich „schlecht behandelt“, schrieb er in einem Brief. Hintergrund ist ein innerparteilicher Machtkampf, dessen Kern eigentlich niemand mehr begreift. Erstes Opfer wurde der renommierte SPD-Außenpolitiker Freimut Duve, der langjährige direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises. Dem 61jährigen SPD-Linken wurde von seinem Kreis der umstrittene Jungrechte und Zögling des mächtigen Bausenators Eugen Wagner, der 34jährige Johannes Kahrs, als Gegenkandidat vor die Nase gesetzt. Duve wurde vorgeworfen, sich nicht genug um seinen Wahlkreis gekümmert zu haben. Um nicht zum „Spielball möglicher Flügelkämpfe“ zu werden, warf Duve nach 17 Jahren Bundestag das Handtuch. Die SPD-Linken schlugen daraufhin Voscherau vor. Der signalisierte sein Interesse und wartete auf eine Aufforderung seines langjährigen politischen Weggefährten Eugen Wagner. Die kam nicht. Auch auf Unterstützung aus Bonn wartete Voscherau vergeblich. „Da fällt man doch vom Glauben ab“, so der SPD-Linke Detlef Scheele. „Ich bin sehr erstaunt, daß ein Duve und ein Voscherau mit der Kandidatur eines Kahrs in die Wüste geschickt werden können.“

Voscheraus eigener Flügel hätte „eine Situation hergestellt, in der er nicht mehr antreten kann“. Das alles sei „wirklich nicht mehr normal“ und schade der Partei. Noch größer könnte der Schaden werden, wenn Kahrs wirklich antritt. Der Sohn des Bremer Ex-Justizsenators Wolfgang Kahrs ist schön öfters in die Schlagzeilen geraten. Nicht nur, weil er sich als Bundessprecher der studentischen Verbindung Wingolf-Bund profilierte. Er tyrannisierte zudem eine Juso- Konkurrentin mit nächtlichen Anrufen und wurde mit einer Fangschaltung überführt. Seitdem gilt er für viele Genossen als nicht wählbar. „Wenn sich Charakterlosigkeit in der SPD auszahlt, wird die Partei beschädigt“, erregen sich die Jusos. Mit dieser entwürdigenden Episode Hamburger SPD- Geschichte scheint die politische Karriere des Henning Voscherau beendet. Sollte es im September zu einem Wechsel in Bonn kommen, wird die SPD viele andere mit Ämtern zu versorgen haben – aber wohl kaum einen Notar aus Hamburg berücksichtigen. Silke Mertins