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Ein Kandidat von Kanzlers Gnaden

Der Spitzenkandidat der niedersächsischen CDU, Christian Wulff, ist ein Ziehkind von Helmut Kohl. Wenn der Jurist am 1. März die absolute SPD-Mehrheit verhindert, wäre dies schon ein Erfolg. An einen Sieg glaubt niemand  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Ein offenes Hemd, unter dem ein heller Rolli hervorlugt, die blonden Haare locker – so lächelt Christian Wulff von der letzten Staffel der CDU-Großflächenplakate herab. Jung und für seine Verhältnisse sogar etwas verwegen, hat die CDU ihren 38jährigen Spitzenkandidaten zum Wahlkampfabschluß noch mal in Szene gesetzt. Beinahe bärbeißig wirkt gegen diesen jungen Mann das ernst- entschlossene Konterfei Gerhard Schröders mit dem Slogan „Entscheiden“, das kurz vor dem Wahltermin am 1. März die Niedersachsen für die SPD einnehmen soll.

Ein Dutzend dieser Wulff- und Schröder-Köpfe muß der Autofahrer vorbeiziehen lassen, bevor er dieser Tage von Hannovers Innenstadt aus im Nordwesten den Vorort Berenbostel erreicht, wo im Schulzentrum einmal mehr der Wahlkämpfer Wulff live zu erleben ist. Dunkles Sakko, weißes Hemd und die obligatorische Krawatte, derart präsentiert sich der Berufspolitiker und gelernte Rechtsanwalt auf der kleinen Bühne der modernen Schulaula. Passend zur Wulff-Hymne „Welcome today – welcome tomorrow“, die die 250 Zuhörer einstimmen soll, hängt hinter ihm noch einmal der Slogan des jung-verwegenen Großplakates: „Wer Zukunft will, muß Zukunft wählen“.

Die niedersächsischen Finanzen, die Kommunal- und Bildungspolitik, natürlich die Schrecken der Kriminalität, Entbürokratisierung und Steuerreform – das sind die Hauptthemen der einstündigen Wahlkampfrede. Zwischendurch streut Wulff Attacken gegen Gerhard Schröder oder die Grünen ein: Schröder habe „die kleine Macke“ der 68er: „Er arbeitet nicht, sondern macht Zeitgeistsurfing, springt immer auf die größte Welle auf, die da gerade ankommt.“ Die Grünen als Partei der Arbeitslosen – das sei „wie ein Vegetarier als Vorsitzender der Fleischerinnung“. Das Publikum – alt und jung gemischt – quittiert solche Polemik mit Lachern oder Beifall, aber Begeisterungsstürme vermag Wulff zumindest hier nicht zu entfachen. Immerhin, als der Kandidat anschließend Fragen beantwortet, folgt das Publikum konzentriert den langen Ausführungen des CDU-Landesvorsitzenden. Der erklärt, warum er die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eingeschränkt sehen will, warum er Zuzahlungen beim Gang in die Apotheke für notwendig hält. Obwohl das alles gegen die Interessen, gegen den Geldbeutel der meisten hier geht, signalisiert der Saal Zustimmung.

Überhaupt lautet Wulffs Credo: „Wir müssen jetzt unpopuläre Dinge in Deutschland tun, für die man vielleicht nicht gleich Beifall bekommt, für die aber die Kinder dankbar sein werden.“ Wulff ist ein junger Neoliberaler – und dies aus Überzeugung. „Der Staat darf nicht mehr ausgeben, als er einnimmt“, verlangt er. Es sieht eine „völlig überbordende Bürokratie“, will staatliche Aufgaben straffen, privatisieren, Steuersätze senken und „alle Subventionen um zehn Prozent kürzen“. Er beschwört „eine Gesellschaft der Besitzstandswahrer, die in der Gefahr ist, unterzugehen wie das alte Rom“. Die Nachbarstaaten seien mit den notwendigen Veränderungen schon sehr viel weiter als die Bundesrepublik. Die SPD-Mehrheit im Bundesrat habe eben da vieles blockiert, sagt Wulff später im Gespräch und betont, daß ihm diese Gedanken besonders wichtig seien. Dieser Umbau der Gesellschaft, das „Auf-Selbständigkeit- Setzen“, ist auch Wulffs Medizin gegen die Arbeitslosigkeit, die die niedersächsischen Wahlbürger zuvörderst drückt. Am Ende werden „die Arbeitsplätze aus dem Ausland zurückkommen“, versichert er seinem Publikum in Berenbostel. Als hätte die Bundesrepublik Industrie aus den Nachbarländern zurückzuholen und nicht gerade erst wieder einen Rekord-Außenhandelsüberschuß erzielt.

Natürlich hat man dies alles schon einmal gehört – von Heinz- Olaf Henkel etwa oder auch von Helmut Kohl. Auf die Unterstützung des Kanzlers konnte Wulff schon bauen, als er 1993 erstmals zum CDU-Spitzenkandidaten in Niedersachsen nominiert wurde. Bereits als 16jähriger Gymnasiast trat er in die CDU ein, war dann von 1978 bis 1980 Bundesvorsitzender der Schülerunion und saß schon damals bei Helmut Kohl am CDU-Vorstandstisch. Bei der niedersächsischen Landtagswahl 1994 sackte die CDU um 5,6 Prozentpunkte auf 36,4 Prozent ab. Dennoch boxte Wulff anschließend die innerparteiliche Konkurrenz beiseite, ließ sich auch zum Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion wählen. Im letzten Wahlkampf habe er noch „sehr viel Kräfte nach innen entwicklen“ müssen, diesmal sei alles eingespielt und auf ihn zugeschnitten, bemerkt er nicht ohne Stolz.

Zweimal hat Wulff in den vergangenen Jahren gegen seinen Förderer Kohl Front gemacht, was ihm den Ruf als „junger Wilder“ einbrachte. Beide Male ging es um die Steuerreform. Kohl schloß 1996 eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Gegenfinanzierung der Steuerreform nicht aus. Wulff beharrte auf Nettoentlastung, die dann harte Sparprogramme hätte nach sich ziehen müssen. Dem kurzen Aufbegehren folgte bald im persönlichen Gespräch im Kanzleramt die Versöhnung mit dem Mentor. Jetzt, im Landtagswahlkampf, in dem Kohl insgesamt neunmal auftritt, lobt der Kanzler ihn „als richtigen Mann am richtigen Platz, der sofort Ministerpräsident von Niedersachsen werden muß“.

Während Wulff auf seinen Touren durch Niedersachsen den Wahlsieg beschwört, hat Kohl schon beim Wahlkampfauftakt in Hannover etwas bescheidener von einem Wahlerfolg gesprochen. „In den drei letzten Wahlen in Niedersachsen, bei der Europawahl, bei der Bundestagswahl und bei der Kommunalwahl lag die CDU stets vor der SPD“, auch wenn die Umfragen vorher das Gegenteil prognostiziert hätten, macht Wulff etwa in Berenbostel seinen Anhängern Mut. Ein Erfolg im Sinne Kohls wäre es für den CDU-Landesvorsitzenden bereits, wenn Gerhard Schröder am 1. März die absolute Mehrheit im Landtag verlöre. Schon dann wäre ihm der Dank Kohls gewiß.

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