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Religion mit der Rasierklinge

Genitalverstümmelung ist für Hamburgs Ausländerbehörde kein Grund, Mädchen nicht in islamische Länder abzuschieben  ■ Von Elke Spanner

Unterdrückung und Folter sind in der Bundesrepublik nur dann Asylgründe, wenn politische Motive dahinterstehen. Menschenrechtsorganisationen weisen seit Jahren darauf hin, daß Frauen weltweit aufgrund ihres Geschlechts mißhandelt werden und deshalb sehr verständliche Gründe haben können, ihr Heimatland zu verlassen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Hamburger Ausländerbehörde sehen das anders: Letztere schob jetzt zwei ägyptische Mädchen ab, denen in ihrem Heimatdorf die Verstümmelung ihrer Genitalien drohen.

Darauf hatte die Familie H., die seit über sechs Jahren in Hamburg lebt, in ihren Asylfolgeanträgen hingewiesen. In ihrem Heimatdorf Aroda, so heißt es dort, würden alle Mädchen beschnitten. Weigere sich jemand, würden die Familienmitglieder als Ungläubige geächtet und vertrieben. Dennoch tauchten BeamtInnen der Ausländerbehörde am 6. Februar nachts um vier bei der Familie auf und verfrachteten zwei der Töchter und deren Vater zum Flughafen. Nur die schwer rheumakranke Mutter und eine fünfjährige Tochter ließen sie zurück; eine 13jährige entging der Abschiebung, weil sie zufällig nicht im Haus war.

Zwar hatten die Mädchen ihren Asylfolgeantrag vorgezeigt; ihre Rechtsanwältin Sigrid Töpfer legte diesen beim Bundesamt vor. Dennoch will die Ausländerbehörde keine Kenntnis davon gehabt haben. „Sonst hätten wir die Abschiebung selbstverständlich abgebrochen“, so Sprecher Norbert Smekal. Töpfer hat Strafantrag gegen die BeamtInnen der Ausländerbehörde gestellt. Auch der Hamburger Ausländerbeauftragte hat sich mittlerweile eingeschaltet – um zumindest den beiden noch hier lebenden Mädchen das gleiche Schicksal zu ersparen. Darüber hinaus hofft Rainer Albrecht, Jurist beim Ausländerbeauftragten, „daß endlich eine Grundsatzentscheidung gefällt wird, nach der frauenspezifische Asylgründe anerkannt werden“.

Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat das bereits getan. Im Juni 1996 verpflichtete es das Bundesamt, einer Frau von der Elfenbeinküste Asyl zu geben, weil sie bei einer Rückkehr zwangsweise beschnitten würde. 1993 hatte die UNO die Genitalverstümmelung als Menschenrechtsverletzung deklariert – und somit zum Abschiebehindernis erklärt.

Weltweit sind rund 140 Millionen Frauen „beschnitten“, wie die Verstümmelung der Genitalien verharmlosend heißt. In Ägypten sind es nach einer Untersuchung des Bevölkerungsrates 97 Prozent aller Frauen. ÄrztInnen führen den Eingriff durch, zumeist sind es jedoch Friseure oder Hebammen, die mit Rasierklingen und ohne Betäubung den Mädchen die Klitoris, oft auch die kleinen und großen Schamlippen wegschneiden.

Der Eingriff wird mit dem Islam begründet. Er hemme sexuelle Lust, „und das ist unsere Religion“, meint der Kairoer Scheich Jussuf al-Badri, einer der fanatischsten Befürworter der Beschneidung, die seit Ende vorigen Jahres nach einem Urteil des obersten Verwaltungsgerichts in Ägypten nicht mehr erlaubt ist. Damit hat sich jedoch an der Praxis nichts geändert.

Gerade auf dem Dorf, so Rechtsanwältin Töpfer, würde die religiöse Tradition über das weltliche Richterurteil gestellt. Im Dezember hätte die Familie H. mit einer befreundeten ägyptischen Familie telefoniert, die im November aus Hamburg abgeschoben wurde. Deren Töchter, so erfuhren sie, wurden drei Tage nach ihrer Ankunft von DorfbewohnerInnen gewaltsam festgehalten und mit einer Rasierklinge verstümmelt.

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