: UN-Generalsekretär Kofi Annan hat mit der Vereinbarung von Bagdad zunächst einmal mehr erreicht als sämtliche Vermittler vor ihm. Dennoch: Ein möglicher Zündstoff für die Zukunft liegt nach wie vor in der Frage der zeitlichen Dauer der UN-I
UN-Generalsekretär Kofi Annan hat mit der Vereinbarung von Bagdad zunächst einmal mehr erreicht als sämtliche Vermittler vor ihm. Dennoch: Ein möglicher Zündstoff für die Zukunft liegt nach wie vor in der Frage der zeitlichen Dauer der UN-Inspektionen in Irak
Zeitbestimmung ist Ansichtssache
Die Gefahr eines erneuten Golfkrieges scheint abgewendet. Zumindest für die nächsten Tage und vielleicht auch Wochen. UNO-Generalsekretär Kofi Annan kehrt heute morgen nicht, wie Mitte Januar 1991 sein Vorgänger Javier Pérez de Cuéllar, mit leeren Händen aus Bagdad nach New York zurück. Darüber hinaus hat Annan in Bagdad nicht nur mündliche Zusagen erhalten, sondern die von Präsident Saddam Hussein abgesegnete Unterschrift des Vizepremiers Tarik Aziz unter einer schriftlichen Vereinbarung. Jetzt kann die irakische Führung ihre Zusagen auch nicht mehr — wie so häufig in der Vergangenheit — dementieren, wenn der UNO-Generalsekretär die Vereinbarung heute in New York dem Sicherheitsrat vorlegt.
Damit hat Annan zunächst einmal mehr erreicht als sämtliche Vermittler, die vor dem letzten Golfkrieg im Januar 91 und erneut seit der Zuspitzung der Irak-Krise im letzten Herbst in Bagdad und anderswo Gespräche mit Vertretern der irakischen Führung geführt haben. Nach Einschätzung des UNO-Generalsekretärs auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Aziz bietet die schriftliche Vereinbarung die Grundlage für den „uneingeschränkten Zugang“ der Unscom-Experten zu allen Anlagen, die sie untersuchen wollen, und für „effektive und sorgfältige Inspektionen unter Wahrung der Würde Iraks“. Damit sei „das Haupthindernis für die vollständige Umsetzung der relevanten Resolutionen des Sicherheitsrates beseitigt“.
Ob der Sicherheitsrat und insbesonders die USA dies genau so sehen, bleibt abzuwarten. Unklar war zunächst, wieweit sich der UNO-Generalsekretär in Washington absicherte, bevor er seine Unterschrift unter die Vereinbarung setzte. Ließ Annan den vollständigen Text nach Ende seiner Gespräche mit Saddam Hussein und Tarik Aziz von der Clinton-Regierung absegnen, wovon hohe UNO-Funktionäre in New York und Genf überzeugt sind? Oder telefonierte der Generalsekretär lediglich, wie von ihm selbst bestätigt, während seiner noch laufenden Gespräche zweimal mit US-Außenministerin Madeleine Albright?
In dem Dokument von Bagdad wird die uneingeschränkte Gültigkeit der Resolution 687 des Sicherheitsrates (Waffenstillstand, Verpflichtung des Irak zur Zerstörung aller Massenvernichtungsmittel unter internationaler Überwachung) sowie aller anderen Irak- relevanten Resolutionen des UNO-Gremiums bekräftigt. Für die Inspektion von acht der „Präsidentenanlagen“ wurde vereinbart, daß die Unscom-Inspekteure von Diplomaten verschiedener UNO- Staaten begleitet werden.
Diese Teile der Vereinbarung waren bereits am ersten Tag von Annans Bagdader Gesprächen erzielt. Der mögliche Zündstoff für die weitere Zukunft liegt in der Frage der zeitlichen Dauer der Inspektionen. Der Sicherheitsrat und insbesonders seine Mitglieder USA und Großbritannien bestanden auf der Formulierung „unbegrenzte Dauer“. Bagdad verlangte eine zeitliche Begrenzung auf 60 Tage. Die Vereinbarung enthält die Kompromißformulierung vom Abschluß der Inspektionen „in einem vernünftigen Zeitraum“. Was ein „vernünftiger Zeitraum“ ist, läßt sich natürlich in Washington und Bagdad unterschiedlich interpretieren.
Für die Entwicklung der nächsten Tage und Wochen gibt es daher weiterhin verschiedene Szenarien. Billigt der Sicherheitsrat die Vereinbarung und gibt ihr durch Verabschiedung einer neuen Resolution einen völkerrechtlichen Status, werden die USA und Großbritannien wahrscheinlich ihre in der Golfregion stationierten Streitkräfte vorläufig dort belassen, bis Irak die Vereinbarung zu ihrer Zufriedenheit umgesetzt hat. Dies wiederum könnte die irakische Führung als unzulässiges Druckmittel empfinden und — im schlimmsten Fall — wieder von der Vereinbarung abrücken. Doch selbst wenn es dazu zunächst nicht kommen sollte – auch mittelfristig gibt es natürlich zahlreiche Detailfragen der Inspektionen, mit denen sich jederzeit ein Konflikt eskalieren ließe.
Ein Scheitern der Vereinbarung im Sicherheitsrat am „Nein“ Washingtons und möglicherweise auch Londons scheint nach den ersten überwiegend positiven und erleicherten Reaktionen aus Rußland, China, der EU, den arabischen Staaten und der Türkei auf die gestrige Pressekonferenz von Annan und Aziz in Bagdad zwar eher unwahrscheinlich; sie käme dazu einer Desavouierung des UNO-Generalsekretärs gleich. Aber auszuschließen ist dieses Szenario nicht.
Die Verabschiedung einer neuen Resolution des Sicherheitsrates zur Anwendung militärischer Maßnahmen gegen Irak – deren Einbringung durch Großbritannien für den Fall eines Scheiterns des UNO-Generalsekretärs in Bagdad bereits zwischen Washington und London abgesprochen war – wäre dann allerdings undenkbar. Mit Sicherheit dürften China und Rußland, möglicherweise auch Frankreich ein Veto gegen einen solchen Resolutionsentwurf einlegen.
Die politischen Folgen eines militärischen Alleingangs der USA sowie eventuell Großbritanniens gegen Irak ohne völkerrechtliche Grundlage durch eine UNO-Resolution wären nach der Bagdad- Reise des UNO-Generalsekretärs noch gravierender. Der UNO-Sicherheitsrat wäre tief gespalten, was seine Handlungsfähigkeit auch in anderen Fragen beeinträchtigen dürfte.
Kofi Annan würde, ähnlich wie sein Vorgänger Pérez de Cuéllar nach Beginn des Golfkrieges von 1991, seinen Rücktritt in Erwägung ziehen. Auch die Beziehungen zwischen den USA und der EU sowie — falls sich London an einem Militärschlag beteiligen würde — zwischen den EU-Staaten würden erheblich belastet werden. Noch schwerwiegender wären auch die Reaktionen auf einen Militärschlag gegen Irak in einigen arabischen Staaten, in denen die Bagdader Vereinbarung der irakischen Führung mit dem UNO-Generalsekretär jetzt als Sieg Saddam Husseins gefeiert wird. Den Nahost-Friedensprozeß könnte Washington wahrscheinlich endgültig beerdigen.
All diese Erwägungen lassen erwarten, daß die Clinton-Regierung die vom UNO-Generalsekretär erzielte Vereinbarung zunächst zumindest billigen wird. Damit hätte Annan bei seiner ersten Vermittlungsmission in einem internationalen Konflikt seit seinem Amtsantritt vor 14 Monaten einen großen Erfolg erzielt und die eigene Position innerhalb der UNO und gegenüber deren einflußreichstem Mitgliedsstaat deutlich gestärkt. Andreas Zumach, Genf
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