■ Kommentar: Entschieden demokratisch
Daß heute im Lustgarten die Kettensägen aufheulen, damit hätte im Ernst niemand mehr gerechnet. Zu viele Entscheidungen wurden getroffen und verworfen, seit der damalige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer 1993 die Neugestaltung des Platzes angekündigt hatte. Zuerst sollte eine zu groß geratene Bushaltestelle aus Beton und Glas entstehen, dann ein Heckenlabyrinth, das sich schließlich als nicht realisierbar erwies.
Es ist wie bei allen Projekten in dieser Stadt: Gebaut wird erst, wenn kein Mensch mehr daran glaubt. Zuerst werden Wettbewerbe ausgelobt und entschieden, verworfen und neu ausgelobt, bis das Publikum ermüdet und jedes öffentliche Interesse erlahmt. Dann rücken urplötzlich die Bagger an. Der zuständige Senator hat entschieden – warum jetzt und warum für diese Lösung, das weiß zwar niemand, aber alle sind erleichtert. In aller Regel handelt es sich um die simpelste und naheliegendste Entscheidung, die man vor allen Debatten und Wettbewerben hätte haben können. Doch dann wäre sie undemokratisch gewesen.
Man würde die Berliner Politik freilich überschätzen, hielte man dieses Verfahren für ausgebuffte Taktik. Viel eher ist es eine Folge metropolitanen Größenwahns, dem der Absturz in den banalen Alltag stets auf dem Fuße folgt. Das Ergebnis, ob akzeptabel oder nicht, ist dann als Notlösung desavouiert. So geht es, wenn man die Bezirksreform zur Nagelprobe hauptstädtischer Reformfähigkeit erklärt und dann zerredet. Wenn man monatelang nach dem repräsentativsten Kandidaten sucht und dann den eigenen Fernsehdirektor zum SFB-Intendanten wählt. Wenn man jahrelang über einen Großflughafen debattiert und am Ende weiter von Tegel und Tempelhof startet. Selbst der gute alte Schinkel wird ganz klein, kramt man seine Pläne erst nach dem Scheitern monströser Bushaltestellen aus der Schublade. Ralph Bollmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen