piwik no script img

Kim Dae Jung kündigt harte Zeiten an

Süd-Koreas neuer Präsident Kim Dae Jung sagt bei der Vereidigung seinen Landsleuten „Schweiß und Tränen“ für sein erstes Amtsjahr voraus. Die Opposition verzögert mit Parlamentsboykott die Regierungsbildung  ■ Von André Kunz

Tokio (taz) – Der erste demokratische Machtwechsel in Süd- Korea ist gestern vor 45.000 Zuschauern in Seoul über die Bühne gegangen. Unter offenem Himmel und bei strahlendem Sonnenschein leistete der längjährige Dissident und Oppositionspolitiker Kim Dae Jung seinen Amtseid. Mehrfach wurde bei der Zeremonie das Lied „Bridge over troubled water“ des Popduos Simon and Garfunkel gespielt. Der 74jährige Kim war im Dezember mit 40,6 Prozent der Stimmen knapp gewählt worden und reitet seitdem auf einem Popularitätshoch. Mit über 90 Prozent Zustimmung beginnt Kim sein Amt mit der höchsten Rate, die je ein Präsident in der südkoreanischen Bevölkerung genossen hat.

Der „DJ“ genannte Kim bot gestern zunächst seinen ehemaligen politischen Gegnern eine Versöhnungsgeste an und versprach, daß er keine Regime der Rache betreiben werde. Er kündigte umfassende Wirtschaftsreformen an, aber auch harte Zeiten bei der Überwindung der schweren Wirtschaftskrise. Als Symbol der Versöhnung durften die früheren Präsidenten Chun Doo Hwan und Roh Tae Woo dem Amtsantritt beiwohnen. Kim hatte die wegen Hochverrats verurteilten Exgeneräle kurz nach seinem Wahlsieg begnadigt.

Als seine größte Aufgabe bezeichnete Kim die Wiederbelebung der krisengeschüttelten Wirtschaft. Er übernehme das Steuer in einem Süd-Korea, das „am Abgrund einer Katastrophe stehe“. Die Wirtschaft der ehemals elfgrößten Industrienation der Welt sei von Korruption und Vetternwirtschaft zwischen Politikern und Wirtschaftsführern zerstört worden. Kim warnte seine Landsleute, daß in diesem Jahr nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch die Konsumgüterpreise steigen würden. Gleichzeitig müßten die Arbeitnehmer mit massiven Einkommenseinbußen rechnen. „Wir sind gefordert, Schweiß und Tränen zu vergießen“, sagte Kim. Erst vor zwei Wochen hatte er gegen den Widerstand der Gewerkschaften ein Arbeitsgesetz durch das Parlament gebracht, das Massenentlassungen in Großkonzernen erlaubt.

Gegenüber Nord-Korea erneuerte Kim das Angebot eines Gipfeltreffens mit dem nordkoreanischen Staatschef Kim Jong Il. Die Familienzusammenführung und wirtschaftliche Unterstützung sollen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden verfeindeten Staaten beitragen. Der neue Präsident hat auch nichts gegen eine Normalisierung der Beziehungen Nord-Koreas mit den USA und Japan. Kim ließ aber keine Zweifel an der Verteidigunsbereitschaft Süd-Koreas aufkommen. Jede militärische Drohung Pjöngjangs werde entschieden beantwortet, warnte er.

Bereits wenige Stunden nach der Vereidigung wartete das erste große innenpolitische Problem auf Kim. Die oppositionelle Große Nationalpartei (GNP) teilte mit, daß sie die Wahl des umtrittenen Kim Jong Pil („JP“) zum Premierminister mit einem Parlamentsboykott verhindern wolle. Der 72jährige Exgeheimdienstchef sollte ursprünglich am Nachmittag zum Premierminister gewählt werden. Die GNP begründete ihren Boykott mit der Zugehörigkeit von „JP“ zur alten „Politikergarde“, weshalb er für künftige Reformen nicht geeignet sei. Die Parlamentsabstimmung wurde verschoben. Unterhändler beider Seiten suchen jetzt hinter den Kulissen nach einem Kompromiß.

Für die GNP dürfte es schwer sein, sich angesichts des Popularitätshochs von Kim Dae Jung längere Zeit gegen die Wahl Kim Jong Pils zu wehren. Der Präsident rief nach seiner Vereidigung die Opposition zur Zusammenarbeit auf. Er hat sie auch nötig. Denn die GNP verfügt im Parlament über eine Mehrheit von 161 der 299 Sitze. Kims Nationalkongreß für neue Politik und die Vereinten Liberal- Demokraten, deren Ehrenvorsitzender Kim Jong Pil ist, hatten vor der Präsidentschaftswahl im vergangenen Dezember eine Koalition gebildet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen