Die nach Luft schnappen

■ Schatten der Sehnsucht: Italienische Choreographen im Ballett der Deutschen Oper

Von unglaublichem Kitsch bis zu flirrenden Reflexionen des technisch beschleunigten Alltags reicht das Programm der neuen Ballettratten der Deutschen Oper. Die gemeinsame Herkunft der drei Choreographen aus Italien stiftet ebensowenig ein sinnvolles Konzept wie die Basis des Neoklassizismus; der Zuschauer erlebt ein unmotiviertes Wechselbad.

Etwas ist immer eine Nummer zu groß geraten. Geradezu lächerlich wirken die Ansprüche von Massimo Moricone, in seinem Stück „Apollon“ das apollinische Prinzip mit dem dionysischen zu vereinen. Gut, daß Nietzsche nicht mit ansehen muß, wie Moricone einmal quer durch den Göttergarten von der Antike bis Indien braust und eklektizistisch Weibliches mit Männlichem mischt. Was dabei herauskommt, ist weder androgyn noch erotisch, sondern bemüht und peinlich.

Auch für „Schatten von Sehnsucht..., Last Blues“ erweckt das Programmheft mit dem letzten Gedichtzyklus von Cesare Pavese große Erwartungen. Der hohe Bühnenraum über den Tänzern, von einem rotglänzenden Vorhang betont, steigert jede Geste ins Bedeutungsvolle. Zwar gelingt es Renato Zanella, Ballettdirektor aus Wien, die Erregung und den großen seelischen Druck, unter dem sich der Dichter seinem Selbstmord entgegenschrieb, anzudeuten. Auch die Musik, eine Auftragskomposition von Wilfried Maria Danner, hält den angespannten Zustand hoch. Doch die emotionale Entwicklung bleibt unpräzise, diffus: So werden Liebe und Tod zu Motiven, die alles andere verschlingen. Was Zanella im Detail der Bewegungen an klassischem Vokabular aufbricht, vergibt er wieder durch schematische räumliche Anordnungen.

Dennoch ist „Schatten von Sehnsucht“ schön, allein den schönen Formen fehlt, wie meistens im Ballett, eine bewußte Reflexion ihres Gewordenseins. Die Opernbühnen bringen die Tanzkunst noch oft mit dem Gestus der originären Schöpfung auf die Bühne und nutzen den Körper als klassisches Instrument, ohne den veränderten Bedingungen seines alltäglichen Gebrauchs Rechnung zu tragen. Darin unterscheidet sich das konservative Ballett von der Tanzmoderne. Daß Ausnahmen möglich sind, bewies allein Mauro Bigonzetti. Sein Stück Turnpike entstand 1991 aus der Unzufriedenheit eines unterforderten Tänzers. Ohne Symbolismen zu brauchen, setzt er die Erfahrung von Beschleunigung und komplexen Orientierungsmustern in Bewegungsabläufe um, die selbst den Zuschauer nach Luft schnappen lassen. Katrin Bettina Müller

Nächste Aufführungen: 27.2., 3./7./13.3., Bismarckstr. 35