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Wir sind alle Marionetten

■ Jim Knopf kennt jeder. Aber kennen Sie auch den Kugelfisch? Oder Bobesch? taz-Autoren über ihre Sozialisation mit den Figuren der „Augsburger Puppenkiste“. Die wird nämlich heute 50 Jahre alt

Der Seeelefant „Laise flähen meine Lieder, Stärne stähn am Himmelszält, ich bin allaaaiiin in diesär Wält.“ So klagte er in avantgardistischem Sprechgesang, einsam auf einem Felsen sitzend, mitten in der Bedeutungslosigkeit des Nichts. Der Seeelefant in „Urmel aus dem Eis“ – Inbegriff der ratlos in die Welt geworfenen Kreatur. Es war wohl die unergründliche Melancholie, diese radikale Anfrage an das Sein, die mich damals, an jedem Sonntag nachmittag erneut, tief erschütterten. Wer bin ich? Wo bin ich? Lebe ich? Hier war der Stachel, der mich zwang, meine Existenz und mein Sosein aus der Leere heraus zu begründen. Was sind die Wurzeln meines Selbst? Gibt es einen Sinn und wo finde ich ihn, wenn kein Gott und kein Teufel, keine Ideologie und kein soziales Konstrukt ihn zu stiften vermag? Die Klage der Augsburg'schen Kreatur konfrontierte mich erstmals mit dem grausamen Zweifel: Was ist das für eine Welt, in der Seeelefanten so leiden müssen? Bascha Mika

Lukas Wer sorgt für frisches Wasser und fette Kohle und dichtet Emmas Türen gegen Meerwasser ab? Lukas. Wozu fährt Emma? Nicht für schnöde Reisende. Für Lukas. Wozu und warum dreht sie ihre Runden? Für Lukas. Und wer schließlich verhalf der Familie nach langem Quengeln zu einem neuen Fernseher? Lukas natürlich! Klaus Hillenbrand

Bill Bo Als zwangskatholisiertes Landkind durfte man einen Bill Bo eigentlich nicht mögen, denn der schlapp behütete Räuberhauptmann trachtete nach fremder Habe. Packte ihn die Wut, stieß er einen nicht zitierbaren ellenlangen Fluch aus, ergriff das nächstbeste Bandenmitglied und warf es meterweit durch die Lüfte. Freilich hatte Bill Bo meistens Pech bei seinen Unternehmungen. Das mußte so sein, um dem kategorischen Imperativ, Verbrechen lohne sich nicht, Genüge zu tun. Erwachsene wiesen stets noch einmal eindringlich darauf hin, und pflichtschuldigst gab die Jugend vor, diese Lehre sehr wohl verstanden zu haben. Insgeheim aber tagträumte sie von rustikalen Schießprügeln im Knallerbseneffekt und auch davon, den gemeinen Blödmann aus der Oberklasse meterweit über den Schulhof schleudern zu können. So weit kam es nie, aber schon die Vorstellung half über manche Demütigung hinweg.Harald Keller

Bobesch Ein Vorreiter in Sachen Herrenmode, ein früher Manfred Krug sozusagen. Lange vor Liebling Kreuzberg faszinierte er groß und klein mit seiner unwiderstehlichen Krawatten- und Halstuchmode. Ebenso wie seine Freunde Kater Mikesch und das dicke Schwein Paschik – beides begnadete Motorradfahrer. Gerd Thomas

Die Blechbüchsenarmee Am grünen Strand des großen Zellophanflusses, der den Rhein abgeben sollte, hier und da aber auch als Donau erkannt wurde, übten sie Wehrertüchtigung. Sie hatten gegen „Bill Bo und seine Bande“ zu bestehen – ramponierte Helden, die alle Mühe hatten, ordentliche Räuber abzugeben. Die Blechbüchsenarmee, „rollerollerolle“, war natürlich ebenfalls alles andere als eine geordnete Truppe. In den 60ern gab es daher eine offizielle Beschwerde der Bundesregierung über sie – wegen Verhöhnung des Militärs. Was für eine wunderbare Idee, das Soldatentum aus Konservendosen zu fertigen. Ein paar Jahre später verweigerte ich den Wehrdienst.Harry Nutt

Kasperl Bei seinem ersten Internetauftritt krakelte das Kaschperl am Mittwoch: „Ich hab' mir überlegt, ob ich mir ein Paar Internetzstrümpfe passend für den Anlaß kaufen sollt'.“ Tat es aber nicht und kam so wie immer. Schwärmte jedoch, sich in acht nehmend vor Kater Mikesch, von seinen Computerkenntnissen: „I muß jetzt wieder hoim in 'd Spitalgaß'. Weil i vergessa hob, die Maus von meim Laptop zu verstecka. Und i fürcht', der Kater Mikesch is scho wieder hinter ihr her!“ (http://www.puppenkiste.com)Klaus Wittmann

Wutz Eine starke Frauengestalt: Von Professor Habakuk zum Sprechen ermuntert, weiß sie die menschliche Sprache bald geschickter ins Feld zu führen als er selbst. Und wie stattlich sie durch seinen Haushalt kreuzt! Eine wahre Johanna der Hüttenküche leistet sie mit zwei Vorderhufen mehr als andere mit allen zehn Fingern. Mit Staubtuch und Kodderschnauze hat sie im Daseinskampf auf der Insel Titiwu noch jeden Freiraum erobert. Und daß bei dieser Charaktersau auch das Herz am rechten Fleck sitzt, erweist sich als der Findling Urmel erstmals „Mämä“ zu ihr sagt.Petra Kohse

Der Kugelfisch Mit einem Sprachfehler sind sie ja alle irgendwie geschlagen, die Figuren der Augsburger Puppenkiste: Der Seeelefant mit seinem Ö-Moll, Urmel mit dem drolligen pf-Fehler. Der Kugelfisch aus der weniger bekannten, aber nicht weniger guten Serie „Fünf auf dem Apfelstern“ mußte sich hingegen mit einem stark begrenzten Grundwortschatz durchschlagen. Zum Erschrecken aller Erziehungsberechtigten handelte es sich dabei um das Wort „Rülps“. Allerdings besaß dieser Fisch statt gutem Benimm ein großes Herz und verschenkte sein „R“ an einen Chinesen, der es – wie jeder sich vorstellen kann – viel dringender brauchte. Seit dieser schönen „Apfelstern“-Folge rollte die Chinesenmarionette das „R“, was das Zeug hielt, und der Kugelfisch pflichtete ihr bisweilen mit einem verschämten „Lülps“ bei. Spätestens an dieser Stelle waren denn auch die pikierten Eltern wieder versöhnt. Kerstin Meier

Der Scheinriese Als der Scheinriese mit Fellinischer Langsamkeit dem smartiesgesichtigen Jim Knopf entgegenhölzerte, beschäftigte nur eine Frage: Wie machen die das? Das ist längst geklärt, aber nun sind es leider Michael Endes Pädagogik und phallische Symbolik (Das in der Ferne so bedrohlich Große ist von nahem harmlos und bedauernswert normal etc.), die Kopfzerbrechen bereiten.Christoph Schultheis

Urmel Eigentlich sah es schon ziemlich doof aus, viel weniger abenteuerlich als Jim Knopf mit seiner Lokomotive. Warum mochte ich es trotzdem? Mitleid mit dem fremden Wesen aus dem Eis? Was-ist-was-wissenschaftliches Interesse? Zu meiner Schande muß ich gestehen: es war wohl der Schnuller, den ich vermißte. Heutigen Kindern begegnet Urmel als „kunterbunte SVGA- Grafik mit unterhaltsamen Midi- Musikstücken“ in dem Computerspiel „Urmels großer Flug“. Aber mir nicht – beim Computerspielen ist und bleibt schlecht Daumenlutschen.Stefan Kuzmany

Oblong-Fitz-Oblong Ausgesandt, um Drachen zu töten, brachte er sie regelmäßig gezähmt aufs Schloß zurück – ein liebenswerter Pazifist, der sich niemals einer Armee angebiedert hätte. Ersonnen wurde er übrigens von Robert Bolt – der u.a. auch das Drehbuch zu „Lawrence von Arabien“ schrieb –, soviel zum stumpfen Beharren auf den Unterschieden zwischen E und U. Oblong-Fitz-Oblongs Andenken bewahrt seit 1993 eine literarische Monatsshow gleichen Namens von Dietrich zur Nedden, Michael Quasthoff und wechselnden Gästen. Wiglaf Droste

Kalle Wirsch – Wir legen eine Falle, das wird das beste sein. Kalle Wirsch ist ein ganz wunderbarer Kerl. Der König der Wirsche. Ein, hatschi, verschnupftes, aber gutes Erdmännlein. Ein Humanistlein. Wirsch übt Macht aus, damit es allen Wirschen besser gehe. Wirsch weiß alles.

Denn dieser kleine Kalle fällt ganz bestimmt hinein.

Wirsch weiß allerdings auch alles besser. Auf dem Weg zur Erdmännchenfestung hat er Jenny und Max bei sich, denen er dauernd über den Mund fährt.

Und ist er drin, dann lassen wir ihn niemals wieder raus.

Zoppo Trump ist der König der Trumpe. Ein böser Kerl. Trump weiß nur, daß er Macht braucht, Wirschs Macht, damit er Spaß haben kann. Am Ende raxelt Wirsch den Zoppo klein – und alles ist gut. Erst viel später geahnt: Eigentlich kompensiert der freudlos-verkniffene Wirsch (“Du sollst schrumpfen!“) doch bloß seinen Triebverzicht mit einer Überdosis Moral. Dann hockt er in der Falle, wie eine arme Maus.Peter Unfried

Heute: Thementag im Kinderkanal (10-19 Uhr); „Die große ARD- Kultnacht der Augsburger Puppenkiste“ (ARD, 23.55 Uhr)

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