: Gottesdienst mit weinender Gitarre
■ Die Steel-Gitarre stammt aus der Südsee. Doch die Wege des Herrn sind oft unergründlich: Bekannt aus Blues, Country und Hawaii-Musik, fand sie über Gospel den Weg in die Kirche
Aus dem Blues ist sie nicht wegzudenken, in der Country-Music gehört sie zur Grundausstattung – doch die Spuren der Steel-Gitarre führen nach Hawaii.
1898 annektierten die USA die Pazifikinsel, was dortigen Musikern die Möglichkeit eröffnete, in den Vereinigten Staaten zu touren. Steel-Gitarrist Juli Paka kam als erster: In San Francisco bespielte er 1899 für Edison einige Wachszylinder. Drei Jahre später folgte Frank Ferara, dann Joseph Kekuku, der im Ruf stand, die eigenwillige Spieltechnik überhaupt erfunden zu haben, bei der man die Gitarre waagerecht auf den Knien hält und dabei ein handbreites Stück Stahl über die Saiten gleiten läßt, was der „Steel-Guitar“ zu ihrem Namen verhalf. Allmählich faßte die Hawaii-Musik im amerikanischen Musikbusiness Fuß, und bald gehörten Hula-Gruppen — neben irischen Tenören, Jodel-Quartetten, Fakiren und Tänzerinnen — zum festen Bestandteil von Baudeville-Theatern und Zeltshows im Süden der USA.
Doch erst die Broadway-Show „Birds of Paradise“, die ab 1912 Riesenerfolge feierte, brachte den endgültigen Durchbruch: Innerhalb kürzester Zeit avancierte Hawaii-Musik zum allerletzten Modeschrei und übertrumpfte jeden anderen Musikstil an Popularität. Über ein Jahrzehnt stand Amerika im Zeichen der Südseeklänge, und die Begeisterung schwappte über. Von 1919 an reiste Joseph Kekuku neun Jahre lang mit der „Paradise“-Revue durch Europa, um in den nobelsten Theatern und Varietés aufzutreten, mit dem Effekt, daß überall lokale Hawaii-Combos wie Pilze aus dem Boden schossen. Was die Musik so unwiderstehlich machte, war der jaulende Gleitton der Gitarre.
Bedingt durch den Erfolg dauerte es nicht lange, bis schwarze Bluesmusiker und weiße Hillbilly- Gitarristen die Spielweise nachahmten: Sie ließen abgeschlagene Flaschenhälse oder Messer über die Saiten tanzen.
Für jemand wie Cliff Carlisle, der 1904 im amerikanischen Bundesstaat Kentucky zur Welt kam und Ende der Zwanziger die „Slide Guitar“ zu einem nuancierten Ausdrucksmittel der Hillbilly-Musik formte, war es nahezu unmöglich, dem Einfluß der Südseemusik zu entgehen. „Ich hab' die Hawaii- Gitarre immer gemocht und kaufte mir jede Platte mit diesem Instrument, die ich bekommen konnte“, erinnerte er sich. „Ich hab' die Scheiben so lange gespielt, bis man wegen all der Kratzer die Musik kaum noch hören konnte.“ Als sich Cliff Carlisle wenig später selbst eine Gitarre zulegte, wurden die Hawaii-Klänge ein ebenso selbstverständlicher Bestandteil seiner Musik wie die Hillbilly- und Bluesmelodien aus der Nachbarschaft. Neben einem prägnanten Gesang entwickelte er ein fulminantes Spiel auf der Slide-Gitarre, was ihn in den 30er Jahren zu einem der herausragenden Vertreter des Hillbilly-Genres machte. Im Sommer reiste er per Bahn mit Zeltshows durch den Süden, während er im Winter auf der Suche nach Engagements unzählige Radiostationen abklapperte. Dabei studierte er zwei unterschiedliche Programme ein. Wenn er im Norden gastierte, wo die ländliche Südstaatenmusik nicht so ankam, zog er einfach ein weißes Hemd und eine weiße Hose an und band sich dazu ein schwarzes Tuch um die Hüften, um als „Hawaiian Act“ aufzutreten, während er „Down South“ in Karohemd und Ranger- Hose den rauhbeinigen Hillbilly spielte.
Der vokale Sound, der sich mit der Slide-Technik erzeugen ließ, machte die Steel-Gitarre zum idealen Medium hochemotionaler Musik. Die Melancholie herzschwerer Bluesballaden konnte damit wunderbar ausgemalt werden. Um so mehr galt es als Sensation, als unlängst eine Tradition von Gospelmusik entdeckt wurde, in der die Steel-Gitarre die Hauptrolle spielt. Selbst Experten hatten davon nichts gewußt, obwohl die Anfänge dieses Stil bis in die 30er Jahre zurückreichen. Damals hatte das Instrument Einzug in die ekstatischen Gottesdienste einiger Erweckungskirchen in Florida gehalten. Um die Worte des Predigers akustisch zu illustrieren und dem Gesagten mehr Dramatik und emotionale Tiefe zu verleihen, ließen Gitarristen das Instrument wimmern und weinen, seufzen und jauchzen, bevor sie den Regler des Verstärkers noch weiter aufdrehten, um in der sogenannten „Gebetsmusik“ mit heißen Riffs die Gemeindemitglieder in tranceartige Glückszustände zu versetzen. Willie Eason (Jahrgang 1921) war derjenige, der die Slide-Gitarre als Kircheninstrument einführte. Die Technik schaute er seinem Bruder ab, der wiederum bei einem Musiker aus Hawaii gelernt hatte. Eason war als Teenager gläubig geworden und zuerst als Gitarrist von Bischof Lockleys „Gospel Feast Party“ durch die Lande gezogen. Als er heiratete, schlug er sich als Straßenmusikant durch, wobei er gewöhnlich den Gitarrenverstärker einfach im nächsten Ladengeschäft einsteckte – und ab ging die Post. Als „Little Willie and his Talking Guitar“ brachte er es zu lokaler Berühmtheit, so daß ihm nur sein Glaube half, einer Karriere im Showgeschäft zu widerstehen.
Eason hat eine Tradition begründet, die seither eine ganze Reihe hervorragender Slide-Gitarristen hervorgebracht hat. Henry Nelson ist einer davon. Als ihn einst Mahalia Jackson bei einem Gottesdienst hörte, war sie so beeindruckt, daß sie ihn auf der Stelle für ihre nächste Plattensession engagierte. Ein Meisterspieler der jüngeren Generation ist Pfarrer Aubrey Ghent. Er ist der Sohn von Henry Nelson, und seine Spezialität sind himmelhohe Töne, die an den Gesang einer Operndiva erinnern. Wenn Vater und Sohn ein- oder zweimal im Jahr während einer Andacht gemeinsam auftreten, spricht sich das schnell herum und garantiert ein volles Gotteshaus. Diesem Duo stehen die Campbell Brothers in nichts nach. Wenn Chuck und Phil Campbell sich und die Gemeinde mit aberwitzigen Gitarrenduellen in ekstatische Sphären katapultieren, scheint das „Sacred Steel“ ihrer Instrumente zu glühen. Obwohl Blues und Rock in der Kirche nicht geduldet werden, lassen ihre Sounds alte Rocker wie Ritchie Blackmore und Jeff Beck wie Konfirmanden aussehen. Christoph Wagner
Platten:
Willie Eason, Henry Nelson, Glenn Lee: Sacred Steel – Traditional Sacred African-American Steel Guitar Musik in Florida. Arhoolie Records CD 450.
The Campbell Brothers: Pass me Not. Sacred Steel Guitars, Vol. 2. Arhoolie Records Cd 461.
Sonny Treadway: Jesus Will Fix It! Sacred Steel Vol. 3. Arhoolie records CD 462.
Aubrey Ghent & Friends: Can't Nobody Do Me Like Jesus. Sacred Steel Guitars Vol. 4. Arhoolie Records CD 463.
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