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Das Bonbon am salzigen Haff

Einer naturgeschützten Ostseehalbinsel vor Rerik droht das gleiche Schicksal wie anderen Ökoreservaten in den neuen Ländern: Sie werden vom Bund zur Sanierung des Haushalts rücksichtslos verkauft  ■ Von Uta Andresen

Das da drüben ist unser Juwel.“ Meint der Vogelkundler etwa die Pappeln, Eichen, Weiden? Oder das kniehohe Wasser zwischen entwurzelten, toten Stämmen? Klaus Große sagt: „Da brütet der Seeadler. Und da...“ Er schwenkt seinen Arm lässig und deutet auf ein Sandkliff über der Ostsee ein paar hundert Meter weiter: „...da wächst das Breitblättrige Knabenkraut.“ Eine Orchideenart, die auf der roten Liste vom Aussterben bedrohter Arten steht. Der Mann, das Fernglas vor der Brust, setzt die Pausen wohl dosiert. Wie einer, der weiß, daß er Eindruck schinden kann.

Jetzt fürchtet der kleine Mann mit den grauen Haaren, daß er bald nichts mehr zu zeigen hat. Die knapp tausend Hektar große Halbinsel Wustrow am Salzhaff bei Wismar ist verkauft. Für zwölf Millionen Mark hat der Bund, Eigentümer des einstigen Militärgeländes, seine Besitzrechte abgetreten.

Schilfgürtel, Salzwiesen und Dünen gehören seit Anfang Februar dem Kölner Immobilienfonds Fundus. Und der will auf der Landzunge bauen. 400 Wohnungen auf rund 300 Hektar. Ein Reiterhof und ein Achtzehnlochgolfplatz. Und nebenan der Adlerhorst.

Ostseebad Rerik. In diesen Tagen hat sich der tourismusträchtige Titel irgendwo zwischen Motorbooten (kieloben) und dem Kiosk „Sturmeck“ (geschlossen) verdrückt. Ein Bauarbeiter steht mit der Schaufel auf der Schotterpiste, die den Reriker Strand mit der Landzunge Wustrow verbindet. Es stinkt nach Teer. Bedächtig füllt der Mann die Löcher im Kies. Er hat sichtlich noch viel vor.

Wenige Löcher danach ist Schluß. Eine Betonmauer und ein Metalltor verhindern die Weiterfahrt. Auf die Mauer hat jemand „Alles hat seine Zeit“ gesprüht. Das Tor beäugt ein privater Wachdienst von einem Container aus. „Da kann man nicht durch.“ Eine Blondierte steht neben ihrem Wartburg und schraubt an einer rosa Thermoskanne. Nachsaisonerfahren die Frau. „Auf Wustrow, da waren früher die Russen. Jetzt kommt da so 'n Feriencenter.“ Sagt es und nimmt einen Schluck.

Ein Drama sei der Verkauf, sagt Klaus Große. „Ich dachte immer, das ist ein Vorteil, wenn der Bund der Eigentümer von Wustrow ist – dachte, das ist ein Vorteil für die Natur.“ Steht doch der Großteil der Halbinsel seit 1992 unter dem Schutz der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union. Und liegt Wustrow nicht in der Wismarer Bucht – einem international anerkannten Vogelschutzgebiet? Einen höheren Schutzstatus könne ein Gebiet eigentlich nicht haben. Neuntöter, Sperbergrasmücke, Wechselkröte. Sogar Meerkohl wächst am Ufersaum. Über dreißig gefährdete Arten haben hier am Salzhaff ihr Refugium gefunden.

Was derzeit mit der Halbinsel Wustrow geschieht, ist unter dem Stichwort „Ausverkauf des Tafelsilbers“ bekannt geworden. So bezeichnete vor sieben Jahren der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer die Naturschutzgebiete in den neuen Ländern. Dieses Geflecht aus Nationalparks, Biosphärenreservaten und Naturparks gesetzlich zu verankern verdankt sich einem Coup engagierter Umweltschützer. Im Herbst bekam der Greifswalder Botaniker Michael Succow dafür den Alternativen Nobelpreis.

Zur gleichen Zeit begann das Bundesfinanzministerium seine Ländereien in den Schutzgebieten zu verkaufen. Im Nationalpark Müritz zwei Waldgebiete aus der strenggeschützten Kernzone; im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin ein Gebiet mit mehreren See- und Fischadlerhorsten; im Naturpark Uckermärkische Seen Flächen, die Naturschützer als Totalreservate eingestuft hatten. Neuerdings läßt der Bund seinen Waldbesitz im Thüringer Hainich vermessen – vielleicht läßt sich ja was verhökern, frotzelt man beim Naturschutzbund Deutschland.

Der Auftrag des Bundes an die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) ist eindeutig: Verkaufen! Knapp 20.000 Hektar Naturschutzgebiete stehen zum Verkauf. Kleinere Naturschutzgebiete wie die Halbinsel Wustrow führt die BVVG nicht in ihrer Statistik.

Theo Waigel beruft sich bei dem Verkauf auf einen Passus im Haushaltsrecht. Der besagt, daß der Bund alles Vermögen, was er nicht zur Ausübung seiner Aufgaben benötigt, verkaufen muß. So soll der Haushalt von unnötigen Ausgaben entlastet werden.

Dazu gehört die Halbinsel Wustrow, von der der Leiter des Bundesvermögensamtes in Schwerin sagt, sie sei das „Bonbon“ unter den zu Verkauf stehenden Bundesflächen. 1996 startete die Treuhand Liegenschaftsgesellschaft im Bundesauftrag die Ausschreibung. Mit einer Broschüre (Titel: „Catch your Island“) pries sie ein knapp 300 Hektar großes Flurstück weltweit an. Dazu gehörten die einstige Nazikasernenstadt und eine Fläche, die unter Landschaftsschutz steht.

Als Ende Januar eine Bundestagsabgeordnete sich beim Bonner Finanzministerium erkundigte, wie es denn um den Verkauf stehe, wurde bekannt, daß der Bund zusätzlich auch das 600 Hektar große Naturschutzgebiet verkaufen wird.

Werner Blume ordnet seine Papiere. Mit der Akte Wustrow hat sich der stellvertretende Bürgermeister von Rerik in den letzten Monaten häufig beschäftigt. So oft, daß er gar nicht mehr hinsehen muß, wenn er ein Schreiben aus der Mappe angelt. Wenn Blume von dem Verkauf erzählt, kommt Bewegung in den gemütlichen Mann. Die Gemeindevertretung Rerik erfuhr erst aus der Zeitung von dem Deal zwischen Fundus und Bund. „Wir wurden übergangen“, knurrt Blume.

Dabei hätte die Gemeinde die Planungshoheit für die Halbinsel. Und die Kommunalpolitiker hatten sich mehrheitlich nun einmal für einen anderen Investor ausgesprochen. Ihr Favourit, die Archi- Nova-Gruppe, wollte auf der Halbinsel ein ökologisches Modellprojekt aufbauen. „Zukunftsinsel Wustrow“. Geplant war sanfter Tourismus, ökologischer Landbau und ein biologisches Forschungszentrum. Keine Autos, Fähre mit Solarantrieb und Niedrigenergiehäuser. Blume läßt ärgerlich die Hand auf die Papiere vor ihm fallen. „Noch zwei Tage vor dem Verkauf wurde Archi Nova im Glauben gehalten, sie wäre im Rennen. Da wurde doch mit gezinkten Karten gespielt.“

Michael Rabe kann den Aufstand in Rerik gar nicht verstehen. Der Sprecher der Fundus-Gruppe sagt, die Verhandlungen seien normal verlaufen. Und im übrigen seien die Auflagen des Bundes eindeutig. Auf dem geschützten Teil der Halbinsel sei keine Nutzung vorgesehen, die über den „jetzigen rechtlichen Status“ hinausgehe. „Wir kaufen nicht die Insel nach dem Motto: So und jetzt gucken wir mal, was wir damit machen“, sagt der Fundus- Sprecher. Und dann: „Auf Wustrow wird eine Interessenabwägung stattfinden zwischen Mensch und Natur.“

Daß dabei die Natur das Nachsehen hat, befürchtet Klaus Große. Was ihm Sorgen macht, sind die militärischen Altlasten auf der Halbinsel. Wenn der Vogelkundler für seine Kartierungen auf die Landzunge möchte, braucht er eine Sondergenehmigung. 1933 kaufte die Reichswehr Wustrow und baute dort eine Flakartillerieschule. Die Halbinsel eignete sich prima für Schießübungen auf See. Nach den Nazis entdeckte 1949 auch die sowjetische Armee das Exerziergelände und zog mit Panzern und Raketen in die weißen Kasernenhäuschen. Seitdem gilt Wustrow beim mecklenburg-vorpommerschen Landesamt für Katastrophenschutz als „kampfmittelverseuchtes Gebiet“. Das brachte der Landzunge bei Bild die Zeile „Die Todesinsel“ ein. Insbesondere Sprengstoffe und Zünder sollen dort liegen.

Und die will die Fundus-Gruppe geräumt wissen, bevor sie ihre Gäste auf die Halbinsel läßt. Die Sicherheit der Menschen müsse schließlich gewährleistet werden. Aber natürlich, sagt Fundus-Sprecher Rabe, werde man den geschützten Teil der Landzunge nur in Absprache mit dem Naturschutz räumen. In welchem Umfang, das sei noch nicht klar.

Wie so eine Munitionsberäumung aussieht, verrät ausgerechnet der Verkaufskatalog. Ein Foto zeigt die einstige Nazigarnisonsstadt nach der Beräumung 1996. Meterhohe graubraune Erdwälle türmen sich hintereinander, auf rund hundert Hektar steht kein Grashalm mehr. Das gleiche befürchtet Große nun auch für das Naturschutzgebiet. „Die pflügen die ganze Halbinsel einen Meter tief um.“

Die Kosten dafür übernimmt der Bund. In einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums heißt es: „Soweit Munitionsberäumung im Naturschutzgebiet möglich und notwendig ist, übernimmt der Bund begrenzt auf drei Jahre und bis zur Höhe des Kaufpreises die Kosten.“ Die Landzunge sei ein Schnäppchen für Fundus, meint Kommunalpolitiker Blume. Mit Munitionsberäumung inklusive gingen die Kosten endgültig gegen Null. Blume wischt mit der Hand über den Tisch. „Die Kaufsumme steht doch nur auf dem Papier.“

In Rerik ist man sauer. So sehr, daß der Gemeinderat schon erwog, gesammelt zurückzutreten. Bei ihrer Kritik wissen sich die Reriker in guter Gesellschaft. Bundesumweltministerin Angela Merkel reagierte verschnupft auf den Verkauf der Landzunge. Der Vorgang sei ein Negativbeispiel, gab Merkel öffentlich kund.

Eine Chance, ihre Zukunftsinsel doch zu verwirklichen, sehen die Küstenbewohner noch. Geschäfte des Bundes über zehn Millionen Mark muß der Bundestag absegnen. Und da müßte dann auch endlich der Kaufvertrag offengelegt werden. Blume wedelt mit seinen Papieren. „Und dann werden wir prüfen, ob die Interessen der Kommune, des Kreises, des Landes und die Naturschutzrichtlinien der EU genügend berücksichtigt wurden.“

Klaus Große ist mit der Halbinsel alt geworden. Vor dreißig Jahren durchstreifte er das erste Mal die Landzunge vor Rerik – mit einem Militärposten an der Seite. Die sowjetischen Soldaten brauchten den gelernten Tierarzt für den kaserneneigenen Schweinebestand. Damals sah er auch den Sandhagen, die schmale Nehrung am Ende der Halbinsel, zum ersten Mal. Der Hobbyornithologe war begeistert. „Da brüten haufenweise Limikolen.“ Viele dieser Wattvögel sind heute geschützt, wie der Sandregenpfeifer oder die selten gewordene Zwergseeschwalbe.

Als die letzten Reste der sowjetischen Armee gegangen waren, sah Vogelschützer Große seinen Sandhagen schon als Reservat. Statt dessen kommen die Kölner Investoren. Da sei es doch blauäugig, sagt Große, zu glauben, daß alles so bleibe, wie es ist. Er tastet mit dem Fernglas noch einmal die Bucht am Salzhaff ab. „Eine Gruppe von Gänsesägern.“ Dann stapft der Vogelmann zurück nach Rerik. Auf explosive Munition ist er bei Streifzügen wie diesem noch nie gestoßen. Nur auf verrostete leere Patronenhülsen.

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