: Selbstverwaltung
Die Punkerin (19): „Wenn du einziehen willst, fragst du zuerst in einer der Etagen, ob ein Zimmer frei ist und sie mit dir wohnen wollen. Dann stellst du dich auf dem Hausplenum vor.
Am Anfang solltest du nicht soviel Scheiß bauen, daß du gleich wieder rausfliegst, denn es gibt eine dreimonatige Probezeit. Aber so schnell fliegt hier keiner raus. Einen typischen Tagesablauf gibt es nicht. Es gibt Leute, die stehen morgens zwischen sechs und sieben auf, weil sie zur Schule oder zur Arbeit gehen. Und andere, die bis fünf Uhr morgens Punkparties feiern und gerade aufstehen, wenn die anderen zurückkommen. Manche gehen den ganzen Tag schnorren, das ist auch eine anstrengende Tätigkeit. Bei mir in der Etage wird zur Zeit nicht zusammen gekocht, wir essen unten in der Hauskantine. Aber das ändert sich auch immer wieder, wenn zum Beispiel neue Leute einziehen. Und einmal im Monat ist Hausplenum, da solltest du wirklich hin. Um dich mit den ganzen Leuten auseinanderzusetzen, hast du hier den ganzen Tag was zu tun.“
Die Sozialarbeiterin (39): „Also mal angenommen, da kommt jemand, wir nennen sie mal Jule, 15 Jahre, seit Wochen auf Trebe, dann kann sie sich das Haus erst mal anschauen. Wir haben ein „Sleep-in“, wo sie ein paar Tage unterkommen, duschen und abspannen kann. Falls sie bleiben möchte, sucht sie sich in einer der Etagen ein freistehendes Zimmer und schaut, ob sie mit den Leuten im Stockwerk klarkommt. In den einzelnen Etagen verwalten sich die Leute komplett selbst, da mischen wir uns überhaupt nicht ein.
Dann nehmen wir mit dem Jugendamt Kontakt auf. Mit denen verstehen wir uns ganz gut. Denn die wissen, wenn wir die Kids nicht auffangen können, dann kann dies niemand. Und so nebenbei sind wir auch viel billiger als die staatliche Jugendarbeit. Nun versuchen wir, für Jule einen Platz in einer Schule aufzutreiben, die Kostenübernahme durch das Sozialamt zu erreichen und von den Eltern eine Einverständniserklärung zu bekommen. Ist das alles erledigt, muß Jule ihr Leben auf die Reihe kriegen.
Die Wandzeitung (im Hausflur): „Warum wohne ich hier? Weil es billig ist? Weil ich mich um nichts zu kümmern brauche? Wenn es nur deswegen ist, muß ich mir überlegen, ob ich hier nicht an der falschen Adresse bin. Und dann kann ich mir nur raten, so schnell wie möglich wieder auszuziehen.
Unser Haus ist nämlich selbstverwaltet. Das heißt, daß wir bestimmen, was wir wollen und was wir nicht wollen. [...]
Das heißt, daß wir umsetzen können, was wir draußen nicht machen können; und daß hier nicht, wie in der großen Politik, die Macht auf sehr wenige Leute beschränkt ist. [...]
Das heißt, aufs Plenum, das einmal im Monat stattfindet, zu kommen und sich zu kümmern, daß das Haus auch weiterhin läuft. Denn nicht nur du willst jetzt hier leben. Andere wollen es in Zukunft auch noch.
Daß die Miete bezahlbar ist und bleibt. Daß du dir in den Spiegel schauen kannst und sagst: Ich kümmere mich um mich und mein Zuhause selbst. Ich zahle pünktlich meine Miete.
Ich verwalte mich selber und laß keinen anderen über mein Leben bestimmen.“ chv
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