Forscher sehen ein bedrohtes Bremen

■ Wie es um die Bemühungen zur Sanierung Bremens steht: Wissenschaftler der Bremer Uni ziehen aktuelle Zwischenbilanz

Unter dem unscheinbaren Titel „Bremens Selbständigkeit – Bedrohung, Herausforderung, Chance“ist in diesen Tagen im Bremer Temmen-Verlag ein Sammelband erschienen, der es in sich hat: Zum ersten Male wird hier ein kleines, halb ernst gemeintes Szenario der Auflösung des Bundeslandes in einem Buch festgehalten: Im Mai 1999 könnte es ein negatives Urteil des Bundesverfassungsgerichtes geben, das den armen Ländern ihre fiskalische Handlungsfähigkeit nimmt. Im Juli 2002 tritt das Neugliederungsgesetz in Kraft, ab Januar 2004 werden Bremen und Bremerhaven wie Sachsen-Anhalt im „Nordweststaat“von Hannover aus regiert.

Die Folgen: Das kleine Stadtparlament trifft sich im Rathaus, aus dem Haus der Bürgerschaft wird ein Kongreßzentrum am Marktplatz, Bremer Nachrichten, Arbeiter- und Angestelltenkammer werden abgeschafft, der Lokalteil der taz eingestellt, Radio Bremen sendet auf einer Welle „Hallo Bremen“weiter, Theater, Museen und die Universität werden drastisch zurückgestutzt ...

Bremens Selbständigkeit ist „sehr bedroht“, so erläuterte Prof. Rudolf Hickel sein Szenario bei der Vorstellung des Buches. Denn „die Teilentschuldung ist nicht gelungen“, es gibt keine seriöse Untersuchung, wieviel Steuerkraft das Investitionssonder-Programm (ISP) bringen wird – „viel zu optimistisch“sind die vom Finanzressort geweckten Hoffnungen. Auf jeden Fall, schätzt Hickel, wird das ISP weniger bringen als die dramatisch weiter zunehmende Verschuldung an Zinsen kostet.

Und das selbst dann, wenn die Sanierungszahlungen weitergeführt werden sollten. Auch dies ist unsicher, denn Bremens Argumente sind schlecht. Hickel nimmt sie in seinem Beitrag eines nach dem anderen auseinander. Nicht einmal der eher moralische Hinweis, auch die USA leisteten sich kleine Bundesstaaten wie etwa Wyoming, zieht, denn: Der kleine Bundesstaat Wyoming verlangt auch fast keinen Finanzausgleich von den großen Bundesstaaten, so Hickel.

Und die einzige wirkliche Lösung, daß Bremen dauerhaft noch mehr Transferzahlungen von den reichen Geberländer bekommt, ist „politisch nicht durchsetzbar“. Das nächste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes „wird gefährlich für Bremen“, fürchtet Hickel. Die Finanzwissenschaftler sind gegen das Bundesland, und wie sollen die Arbeiter in Sindelfingen davon überzeugt werden, daß sie auf Dauer einen (kleinen) Teil ihrer Steuern für Bremen zahlen sollen? „Da reicht es nicht, sich auf die hanseatische Tradition zu berufen.“Eher mühsam versucht Hickel, andere Argumente aufzulisten, um seinem skeptischen Szenario eine positive Alternative entgegenzustellen.

Auch die anderen Beiträge in dem Band sind in ihren skeptischen Argumenten erheblich überzeugender als in ihren Alternativ-Vorschlägen. Der Verwaltungswissenschaftler Rolf Prigge erinnert an die beiden TED-Umfragen von 1966, bei denen sowohl die Leser des Weser-Report wie die Zuschauer von Buten&Binnen mit jeweils über 60 Prozent für die Aufgabe der Selbständigkeit Bremens stimmten. Vernichtend ist die Kritik Prigges an den halbherzigen Reformversuchen des öffentlichen Dienstes – kein Denken daran, daß hier der Stadtstaat als „Laboratorium“eine Vorbildfunktion für die Flächenländer haben könnte.

Radikaler als Prigge sieht Prof. Wolfram Elsner die Lösung eigentlich nur in einer „Eingemeindung des Speckgürtels“. Die ist allerdings nicht durchsetzbar, wenn sie sich auf Bremen gegenüber Niedersachsen beschränkt – sondern nur im Windschatten einer bundesweiten Gebietsreform. Für eine Kooperation über die Landesgrenze hinweg formulieren Elsner wie Prof. Detlev Albers, der Bremer SPD-Landesvorsitzende, viel guten Willen. Die bremische Politik setzt aber eher auf Konkurrenz und das seit Jahren. Wobei die Hoffnung, daß die Abwanderung der Großstädter in den Speckgürtel gestoppt und umgekehrt werden könnte, in nichts begründet ist: Die Regionalforscher Prof. Bahrenberg/Neutze weisen in dem Band nach, daß die „Suburbanisierung“Bremens sich in keinem wesentlichen Detail von der etwa Hannovers unterscheidet.

Kommt nach dem Niedergang der alten Industrien nun der Aufstieg Bremens als Dienstleistungs-Metropole? Der Ökonom Dr. Heiner Heseler untersucht seit Jahren den regionalen Arbeitsmarkt und formuliert: „Die Strukturschwäche der bremischen Wirtschaft ist mehr auf die geringe Dynamik des Dienstleistungssektors als auf den Abbau industrieller Arbeitsplätze zurückzuführen.“Das Investitionssonderprogramm (ISP) soll die Zahl der versicherungspflichtig Beschäftigten in Bremen um mehr als 13 Prozent erhöhen. Für die Wissenschaftler gibt es dafür keine nachvollziehbare Begründung. Es sei „sehr ehrgeizig“, formuliert Heseler seine höfliche Skepsis. K.W.

Heseler/Hickel/Prigge: Bremen Selbständigkeit, Bedrohung, Herausforderung, Chance (Temmen)