: Grünes Idyll statt Beton und Blair
Gegen den Niedergang des Landlebens in Großbritannien: Bauern und Konservative stellen die größte britische Demonstration seit den 80er Jahren auf die Beine ■ Von Ralf Sotscheck
Dublin (taz) – 250.000 Menschen haben gestern in London für die „Erhaltung des britischen Landlebens“ demonstriert. Es war die größte Demo in der britischen Hauptstadt seit den Protesten gegen Aufrüstung in den 80er Jahren.
Organisiert wurde der Marsch, der im Hyde Park endete, von der „Countryside Alliance“. Dahinter steckt die einflußreiche Lobby der Hobbyjäger, die rechtzeitig vor der dritten Lesung des Anti-Jagd-Gesetzes am nächsten Freitag mobil gemacht hat. Mehr als tausend Unternehmen, von Brauereien bis zu Waffenherstellern, haben die Demonstration gesponsert. Großbritanniens reichster Mann, der Herzog von Westminster, hat eine Million Pfund beigesteuert. Koordiniert wurde die Spendenaktion von dem Jagdfanatiker Eric Bettelheim aus Chicago.
Natürlich gibt es keine Viertelmillion Fuchsjäger und Waffennarren in Großbritannien. Die „Countryside Alliance“ hatte deshalb eine Werbekampagne auf die Beine gestellt, die genauso breit wie inhaltsleer war. Im Boulevardblatt Daily Mail lag vorgestern ein Plakat bei, auf dem eine Wiese mit Kühen abgebildet war, darunter der Slogan: „Rettet unsere ländlichen Regionen.“
So kam gestern eine bunte Mischung zusammen und zwängte sich durch die Straßen von London: Neben den Fuchsjägern und Großgrundbesitzern waren es auch Kleinbauern, deren Lebensgrundlage durch BSE bedroht ist, „Rambler“, die freies Wegerecht im ganzen Land fordern, sowie Farmarbeiter, die von Arbeits- und Obdachlosigkeit bedroht sind. Freilich haben die Großbauern, bei denen sie angestellt sind, etwas nachgeholfen: Wer nicht mit seiner Familie nach London zum Demonstrieren fuhr, mußte das schriftlich begründen.
Die Gewerkschaften waren gegen die Demonstration. „Vielen Landbesitzern und Großbauern geht es darum, daß Hilfsprogramm für Bauernhöfe weiter auszubeuten sowie das Feudalsystem in bezug auf Landarbeiter und Landbesitz beizubehalten“, sagte der Sprecher Barry Leathwood. Und die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth lehnte den Marsch als „gefährlich simplistisch“ ab.
Dafür sprangen andere auf den fahrenden Zug. Die Konservativen, die aufgrund interner Grabenkämpfe um Europa in die Bedeutungslosigkeit sinken, haben ihr Herz für die ländliche Lobby entdeckt. Zehn Mitglieder von William Hagues Schattenkabinett liefen gestern mit. Michael Heseltine setzte eine Führung durch seine private Baumschule als Preis bei einem Losverkauf zur Finanzierung der Demo aus. In den achtziger Jahren, als die Tories noch am Ruder waren, haben sie 120.000 Hektar in den schönsten Gegenden in Bauland umgewidmet.
Die Labour-Regierung versucht einen Balanceakt, um niemanden zu verprellen. Tony Blair hat einen „Ausschuß für ländliche Angelegenheiten“ eingerichtet. Sein Umweltminister Michael Meacher nahm an der Demonstration teil und verkündete, daß Fußgänger auf ländlichen Straßen das Vorrecht vor Autofahrern bekommen sollen. Es war die Rede von „gigantischen Zebrastreifen“. Gleichzeitig sollen Autofahrer auf dem Land Steuerermäßigungen erhalten, um die geplante sechsprozentige „grüne Steuer“ auf Benzin und Diesel abzufedern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen