Vier, drei, zwei, eins, Schröder

■ Die Spannung bei den niedersächsischen Landtagswahlen wich schnell dem großen Jubel bei der SPD: Gerhard Schröder ist Kanzlerkandidat. Christian Wulff ist nur noch "sehr, sehr traurig"

Berlin (taz) – Es war ein bißchen wie im NASA-Hauptquartier bei der Mondlandung vor dreißig Jahren. Der Moderator im ZDF- Wahlstudio in Hannover zählte die Sekunden bis zum entscheidenden Augenblick. „Fünf, vier, drei, zwei, eins ...“ Dann war es soweit: die erste Prognose. Sofort hob die SPD ab: 47,5 Prozent; bei den Landtagswahlen 1994 hatte sie 44,3 Prozent erzielt. Die SPD war auf dem Weg zu ihrem besten Ergebnis in der Geschichte Niedersachsens. Und jeder, der in den letzten Tagen auch nur einen einzigen Blick in die Zeitungen geworfen hatte, wußte um Punkt 18 Uhr, wie der Kanzlerkandidat der SPD heißt: Gerhard Schröder. Er hatte ein überragendes Ergebnis erzielt.

Heinrich Aller, SPD-Fraktionschef in Niedersachsen, war der erste halbwegs prominente Sozialdemokrat, der einen Kommentar abgab: „Wir haben immer gesagt: Alles, was über dem Ergebnis von 1994 liegt, ist ein Erfolg für Gerhard Schröder und die SPD.“ Die erste und zweite Hochrechnung bestätigten den Höhenflug der SPD. Um 18.20 Uhr ließ Gerhard Glogowski, Innenminister von Niedersachsen und designierter Nachfolger von Schröder als Ministerpräsident, seiner Freude schon freien Lauf. „Kohl hat sich in Niedersachsen eingesetzt, und er hat in Niedersachsen verloren“, sagte Glogowski. „Schröder hat Kohl hier geschlagen, und er kann ihn auch in Bonn schlagen.“

Den entscheidenden Satz traute sich aber immer noch keiner zu sagen. Er blieb dem Hamburger Parteienforscher Joachim Raschke vorbehalten. Um 18.25 Uhr kommentierte er nüchtern: „Gerhard Schröder heißt der Kanzlerkandidat der SPD.“ Schröder, so analysierte Raschke, habe einen doppelten Plebiszit gewonnen – gegen Lafontaine und gegen Kohl. Die Wahl sei eine nach amerikanischem Muster gewesen: Die Wähler und die Medien hätten entschieden. „Gerhard Schröder“, so Raschke, „ist der einzige Sozialdemokrat, der Kohl schlagen kann.“

Die Reporter, die vor Oskar Lafontaines Haus in Saarbrücken auf ein Zeichen lauerten, konnten nichts mitteilen. Einer behauptete, er habe nach der ersten Hochrechnung ein Knallen gehört. Er wußte nicht, ob Lafontaine die Sektkorken knallen gelassen hatte oder vom Stuhl gefallen war.

18.30 Uhr dann die Reaktion vom Bundesgeschäftsführer der SPD Franz Müntefering. Schröder sei der Kanzlerkandidat der Partei, sagte der SPD-Bundesgeschäftsführer unter dem großen Jubel in der SPD-Parteizentrale. Diese Bestätigung war aber schon nicht mehr wichtig. Die Hochrechnungen in den nächsten Minuten machten es zur Gewißheit, ohne daß es bis 19 Uhr auch nur ein einziges Wort von Lafontaine oder Schröder zur alles interessierenden Frage gab: Gerhard Schröder hieß der Herausforderer von Helmut Kohl. Die SPD lag kurz nach sieben schon bei über 48 Prozent.

Auch die CDU wußte, was die Stunde geschlagen hatte. Mit rund 36 Prozent hatte sie leicht verloren – aber im Schatten des Triumphes von Schröder wirkte sie so angeschlagen, als hätte sie bereits die Bundestagswahlen verloren. Die Christdemokraten waren vor allem eines: beleidigt. „Das Ergebnis enttäuscht mich nicht nur“, sagte der Schröder-Herausforderer in Niedersachsen, Christian Wulff, „es macht mich sehr, sehr traurig.“ Es sei bei der Landtagswahl nur noch um die Frage Schröder oder Lafontaine gegangen. Da hatte der „junge Wilde“ doch noch etwas gemerkt. Jens König