Guildo Horn, Bundeswehr, FDP etc.: Feindliche Übernahme
■ Der institutionelle Rahmen bleibt, die Codes ändern sich. Ironie kann heute jeder
Es spricht einiges dafür, daß die wichtige kulturpolitische Entscheidung, wer künftig Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sein wird, auch zum nächsten Sitzungstermin zwischen Bund und Ländern am 10. März nicht entschieden wird. Klaus-Dieter Lehmann, Generaldirektor der Deutschen Bibliothek in Frankfurt und Kandidat der Länder, hat seine Kandidatur zurückgezogen. Aber das ist noch lange kein Grund, den Kohl-Freund und Mann des Bundes, Christoph Stölzl, zum bedeutenden Amt einfach durchzuwinken. Der Fall Preußischer Kulturbesitz wird gern als Beispiel für die gegenwärtige Politikblockade genommen. Eine Entscheidung, so heißt es, falle vermutlich erst nach der Bundestagswahl.
Was man seit geraumer Zeit als Schwäche und Unbeweglichkeit des Systems Kohl zu interpretieren geneigt ist, war lange sein Erfolgsgeheimnis: die gefühlvoll aufeinander abgestimmten Prinzipien von Vertagen und Abwarten. Anstelle politischer Aktion pflegte Kohl die Kunst des Telefonierens und das Modell politischer Freundschaften. Der Rest ist Vertrauen auf die Selbstregulierungskräfte der Politik. Oder auch des Fußballs. „Schau mer mal“, so hat es Franz Beckenbauer gesagt. Und der war immerhin Weltmeister.
Es gibt allerdings auch Indizien dafür, daß das Erfolgsmodell Trägheit immer stärker durch Strategien feindlicher Übernahme bedrängt wird. Die Berliner FDP zum Beispiel hat damit derzeit ihre liebe Müh. Anstatt einfach so in politische Bedeutungslosigkeit zu versinken, droht ihr nun eine Profiländerung durch studentischen Masseneintritt. 2.687 Antragsformulare wurden ihr am Wochenende artig übergeben. Wenn sich die Antragsteller bei ihren Bewerbungsgesprächen ordentlich zu benehmen wissen, werden sie am Ende in die Partei aufgenommen.
Mehr Rache am Schweinesystem war nie. Nicht abschaffen, sondern eintreten ist die erfolgreichste aller subversiven Taktiken. Statt mit Farbbeuteln und Wasserpistolen rückt die neue Spaßguerilla mit Antragsformularen an.
Daß der Feind nicht schläft, ist dieser Tage Bundesverteidigungsminister Rühe emsig zu beweisen bemüht. Die Unterwanderung der Bundeswehr war ja eine beliebte Phantasie der Linken in den siebziger Jahren. „Also wenn du mich fragst, Junge / soll ich geh'n in die Armee“, sang Franz-Josef Degenhardt, „kann ich dir nur raten, Junge, wenn du stark genug bist, geh!“ Rühe hat sich das linke Liedgut zu eigen gemacht. Um seinerseits der feindlichen Übernahme zuvorzukommen, bewirbt er, demnächst auch in der taz, das Prinzip freundliche Aufnahme. Subversive Strategien sind kein Privileg der Linken mehr.
Das Wort von der feindlichen Übernahme wurde zuletzt in ökonomischen Zusammenhängen verwandt. Ein angeschlagener Betrieb kann über Nacht durch veränderte Aktienmehrheiten zu einer anderen Firmenpolitik gezwungen werden. Feindliche Übernahme setzt eine Schwächung des Systems voraus. Der institutionelle Rahmen bleibt, aber der Code wird verändert. Der dem Militärischen entlehnte Begriff verleitet dazu, sich die Sache militant und radikal zu denken. Hat man Mercedes-Benz auf diese Weise erst einmal in den Griff bekommen, so die Phantasie, werden dort nur noch Windkrafträder oder dergleichen gebaut.
Der größte Coup einer feindlichen Übernahme gelang bislang allerdings auf volkskulturellem Terrain. So gründlich hat Guildo Horn den deutschen Schlager okkupiert, daß sich an seinem Erfolg auch ein wesentliches Merkmal der feindlichen Übernahme studieren läßt. Zwar scheint nichts mehr so zu sein wie vorher, aber im Grunde bleibt alles so, wie es ist. Seit Guildo Horn weiß man: Ironie kann heute jeder. Das ist die gute Nachricht: Die Berliner FDP bleibt auch dann bedeutungslos, wenn sie die Studenten aufnimmt. Die schlechte ist: Das Trägheitsprinzip wird wohl auch dann nicht gleich abgelöst, wenn Kohl die Wahl verlieren sollte. Harry Nutt
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