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Schutzzauber des Leidens

So gut haben es sonst nur Klassiker: Die 33jährige Bühnenautorin Dea Loher wurde von Andreas Kriegenburg in Hannover mit zwei Inszenierungen als Galionsfigur eines Neuen Deutschen Pessimismus gewürdigt  ■ Von Petra Kohse

Der Hannoveraner verliert die Ruhe nicht. Daß Wahltag war am Wochenende, merkte man zuvor vor allem an auswärtigen Journalisten, die einem auf der Straße eine Prognose abzuringen versuchten. Ansonsten gab es zumindest in der Nähe des Theaters kein Tamtam, und die tagespolitische Direktheit, mit der die Biermösl Blosn bei ihrem „Bayern Open“-Gastspiel am Donnerstag sangen, Gerhard Schröder gehöre eigentlich in die CSU, schien die örtlichen Parkettbewohner eher zu erstaunen. Sie quittierten den Vorstoß mit verklemmtem Gekicher.

In den beiden Premieren, die Donnerstag nacht und am Samstag zur Prime time im Schauspiel Hannover stattfanden, ging es dann zwar durchaus um Politisches, aber gleichfalls nicht schnöde um das, was vor der eigenen Tür geschieht. Immerhin steht die Sache selbst für die Hauspolitik des Theaters: zwei Inszenierungen von Andreas Kriegenburg, zwei Stücke von Dea Loher. „Olgas Raum“, ihr erstes, und „Adam Geist“, ihr neuestes, als Uraufführung.

33 Jahre alt ist Dea Loher, sechs Stücke hat sie bisher geschrieben, drei davon im Auftrag des Schauspiels Hannover. Insgesamt fünf sind nach diesem Wochenende dort auch inszeniert worden, drei von Kriegenburg, der mit Loher außerdem ein „Blaubart“-Projekt am Residenztheater in München realisiert hat. Eine selten enge Verbindung und eine selten sorgsame Autorenpflege durch ein deutsches Staatstheater. Im April wird die Zusammenarbeit durch das Erscheinen eines Arbeitsbuchs noch gekrönt, so gut haben es sonst nur Klassiker.

Tatsächlich ist die bereits mit mehreren Stückepreisen bedachte Dea Loher sprachlich sehr versiert. Sie beherrscht den stilisierten Volkston wie den rhythmisierten Politton und kann in den reduzierten Dialogen auch noch Typen kenntlich machen. Typen, keine Charaktere. Denn trotz allem würde man ein Stück von Dea Loher weniger an der Sprache erkennen, die auf eher unspezifische Weise gut klingt, als am Thema. Nicht wie Figuren die Welt erleben, steht bei ihr im Mittelpunkt, sondern was sie erleben: politisch- gesellschaftlichen Terror.

In „Olgas Raum“ (1991) kommt die deutschjüdische Kommunistin Olga Benario zu Wort, die in Brasilien festgenommen, gefoltert und nach Nazideutschland ausgeliefert wird. „Tätowierung“ (1992) handelt von einem Bäcker, der seine Töchter sexuell mißbraucht. „Leviathan“ (1993) von der Zerrissenheit Ulrike Meinhofs zwischen Familie und politischem Kampf. „Fremdes Haus“ (1995) von einem Mann, der aus dem Balkankrieg nach Deutschland flieht.

Politische Handlungsdramatik, wobei Dea Loher hart die Schrauben anlegt, um die schlimmstmögliche Wendung der Geschichte immer weiterzudrehen. So wird Olga nicht nur vom Folterer gefoltert, sondern bekommt noch eine Genossin in die Zelle gelegt, die sie für eine Verräterin hält. Und Anita wird erst vom Vater geschwängert, dann von dem Mann, der sie aus der Familie gerettet hat, verraten.

Eine Verschlimmerungdramaturgie, die letztlich wie der kindliche Versuch des Schutzzauberns wirkt: Sich das Furchtbarste auszumalen soll vor wirklichem Übel bewahren, hilft tatsächlich aber weder dabei, eine Situation realistisch einzuschätzen, noch, sich Auswege zu überlegen. Folgerichtig beschreibt Dea Loher bloß die Blüte der jeweiligen Misere und jätet die Hoffnung aus immer umfassender angelegten Realitätsrabatten. Von Einzelfällen ausgehend, behauptet sie zunehmend Allgemeingültigkeit bis hin zum aktuellen Stück für Hannover, dessen Namenstitel „Adam Geist“ die Menschheitsgeschichte von Anfang bis Ende umspannen will. Der definitive Neue Deutsche Pessimismus.

Adam Geist ist ein armes Schwein. Sohn einer psychisch labilen Mutter, die an Krebs stirbt. Arbeits- und obdachlos, will er angeblich Gutes tun. Er trifft ein Mädchen, vergewaltigt und tötet es. Er gewinnt einen Freund, der an einer Überdosis stirbt. Er wird Fremdenlegionär, Sekretär eines Neonazis, kämpft auf dem Balkan, spricht sich am Ende von allen Bürgerrechten frei und gibt sich dann den Strick.

Ein Stationendrama. Anders aber als etwa Ibsens Peer Gynt sucht Adam Geist nie etwas anderes als den Tod und macht keine einzige persönliche Erfahrung. Bausteinartig werden sogenannte Themen der Zeit aneinandergelegt und mit einem leidendem Objekt verfugt. Eine Passion – wofür? Gleichwohl skizziert Loher die Episodentypen prägnant mit ihrer knappen, auch komischen Sprache. Szene für Szene funktioniert, doch das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile.

Daß Andreas Kriegenburg von Lohers Texten fasziniert sein würde, war nicht vorherzusehen. Denn Kriegenburg ist der große Harmoniesucher unter den Regie- Autoren. Das Elend ist immer ein komisches in seinem Theater und das Glück ein kleines. Als Formalist ist Kriegenburg ein Realist – mit weichem Herzen. Jetzt aber befindet er sich, wie er im Programmheft mitteilt, „in einem von Dea ausgelösten Erziehungsprozeß“: „Ich werde immer mehr von ihr gezwungen, der Armut des Stückes, die eine Armut von Gesellschaft beschreibt, eine tatsächliche, aber auch moralische Verarmung von Gesellschaft beschreibt, für mich auf der Bühne zuzulassen.“ Unschwer festzustellen, daß auch Kriegenburg kein Analytiker ist, weswegen das Ergebnis dieses „Erziehungsprozesses“ dann nicht so schlimm aussieht, wie es sich anhört. Im Gegenteil.

Nur wenige Zuschauer passen in „Olgas Raum“. Irgendwo hinten, unten auf der Bühne des Staatsschauspiels hat Anne Chromik ein tiefes Bassin in den Boden eingelassen, von dessen Rand aus man auf vier gleichermaßen Gefangene herabblickt. Drei Frauen und ihr Folterer. Leila Abdullah als Olga, Bettina Drexler, Natali Seelig und Roland Koch. Der Kampf zwischen körperlicher und moralischer Überlegenheit findet nicht statt. Die Unerschütterlichkeit, mit der die Kommunistin Olga, um zu überleben, an ihrer Ideologie festhält, wird weder gezeigt noch kommentiert, sondern ersetzt durch den Willen einer Frau, dem Manne nicht untertan sein zu wollen. Wechselseitig hüllen sich Olga und ihr Peiniger Filinto in Maschendraht. Beziehungskisten. Der Zellengenossin Genny wurde eine masochistische Phantasie hinzugedichtet, Folter ist Sex ist Kampf ist Krampf.

Es kommt zu einigen schön lasziven Infamien von Roland Koch und zu vielen mühsam technischen Szenen, wenn eine der Frauen langwierig in eine Stellage hineingefummelt wird und dann trübe hin- und herschaukelt. Auch muß man hier erleben, wie Versatzstücke von Kriegenburgs Choreographien zum Dekor verkommen. Im Gleichtakt knallen die drei Frauen in Hängerkleidchen und Schnürstiefeln zu Anfang mit dem Rücken an die Wand und lassen dabei Kopf und Arme baumeln – was in früheren Produktionen die Sprache des großen Gefühls war, soll hier auch als Sprache des Stumpfsinns funktionieren. Das tut es nicht.

Sehr anders als in dieser B-Produktion wehte es einen am Samstag von der großen Bühne herab an. Wehmutsfrohe Melodien aus dem Akkordeon des Laurent Simonetti schweben durch Susanne Schuboths pastellfarbene Wucht- und-Bogen-Architektur, die, halb Bahnhof, halb Kirche, jeden Übergang ermöglicht. Mit grotesk dunkelgefärbten Augenhöhlen sind die Figuren als Schatten ihrer selbst gleich kenntlich: Daß dies kein Elendsdrama werden wird, ist gewiß.

Dafür reckt schon Alexander Simon als Adam Geist sein Kinn in die Höhe und ballt, mit kerzengeradem Rücken, trotzig die Fäuste. Als eine Art Aufziehmännchen des Passionsspiels ist Simon vor Kitsch gefeit, wenn auch nicht vor der Karikatur. Wie die meisten immer wieder hart an die Albernheit heranschrammen. Die grundsätzliche Freude über den formalisierten und stimmungsvollen Zugriff auf Lohers Panoramaleid ist durch Untiefen und Selbstverliebtheiten oft getrübt – Verunsicherungen infolge des „Erziehungsprozesses“?

Dennoch zeigt Kriegenburg sehr schön, wie er die Welt sieht. Wenn Adam Geist auf dem Friedhof das Mädchen trifft, das er später umbringen wird, verfällt Simon mit Wiebke Puls hier in einen Hoffnungstaumel. Zwei aus der Gesellschaft gerutschte Kinder bauen sich zwischen den Gräbern eine Laube: Flugs wird die Blümchentapete hinter der Friedshofsbank ausgerollt, wird der spärliche Rasen gemäht. Später folgt ein Mord aus Ungeschick – eine Tragödie.

Andreas Kriegenburg kann nicht anders, er gibt dem Leben eine Chance. So schafft er es, für diesen Passionsweg vom Nichts ins Nirgendwo wenigstens innerhalb der jeweiligen Szene zu interessieren. Zumal die Darsteller allesamt sehr gut sind, wie etwa Stephan- Johannes Richter, der als Adam Geists Freund Karl der Einsamkeit des Stadtindianers auch in Feuerwehrstiefeln und Unterhosen ein Denkmal setzt.

Alles wuselt und wabert, schlägt Kapriolen und rührt dann wieder sehr, die Kriegenburgmaschinerie rollt siegreich voran und kommt trotzdem mit leeren Händen ins Ziel. Da sitzt Alexander Simon dann auf der Banke, er, der als Adam Geist zuvor doch so hübsch von jedem, der ihm begegnet ist, eine Geste mitgenommen hat, ein Fauchen oder Zucken, er sitzt entleert auf der Banke, referiert noch einmal die Moral von der Geschicht' und legt sich die Schlinge um den Hals.

Immerhin: Zugezogen wird nicht. Das andere Ende des Seils wirft er lässig in die Kulissen und wartet dann, bis der Vorhang fällt. Der Hannoveraner verliert eben die Ruhe nicht.

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