■ Querspalte: Heilende Kneipenmusik
„Magistrat empört über Urteil – zu krank für den Job, aber abends auf der Bühne“, schäumte der Magistrat von Bremerhaven in diesen Tagen in einer Presseerklärung. „Ein Freibrief zum Krankfeiern“, fand Oberbürgermeister Manfred Richter. Hintergrund der Aufregung: Der Personaldezernent hatte in zweiter Instanz einen Arbeitsgerichtsprozeß verloren. Es ging dabei um einen städtischen Bediensteten, der häufig wegen Rückenleidens krank geschrieben war, abends aber mit seiner Mundharmonika in Blues-Konzerten auftrat. Die Stadt hatte den Mann mit der Begründung abgemahnt, er habe ohne Nebentätigkeitsgenehmigung gespielt. In seinem Ärger war dem Oberbürgermeister aber entgangen, so das Gericht, daß der Mann auf einer Veranstaltung des Jugendamtes gespielt hatte, also im Auftrage der Stadt selbst. Darüber hinaus war ihm offenbar nicht bekannt, daß die Ausübung eines künstlerischen Hobbys nicht unter die Nebentätigkeitsgenehmigung fällt. Auch die Belehrung durch die erste Instanz führte nicht zu nachhaltiger arbeitsrechtlicher Erkenntnis beim Personaldezernenten. Nur eines wäre arbeitsrechtlich ein Argument gewesen: Wenn der Arbeitgeber behauptet hätte, daß das Mundharmonikaspielen bei Rückenschmerzen der Genesung abträglich ist.
Dies sei nicht vorgetragen worden, erklärte das Gericht, daher könne angenommen werden, „daß die Ausübung künstlerischer Tätigkeit positive Auswirkungen auf die Psyche des Arbeitnehmers haben und damit seine körperliche Gesundheit stärken“ kann. Das war der Satz, der den Oberbürgermeister auf die Palme brachte. Wobei er daraus auch etwas für sich hätte lernen können: Wenn er nachmittags seinen Arbeitstag als kommunale Führungskraft vorzeitig beendet, weil er als Hobbykabarettist durch die Lande tingelt, wenn auch mit weniger Publikumserfolg als der Blues-Jazzer, dann braucht er dafür auch keine Nebentätigkeitsgenehmigung. Er braucht also kein schlechtes Gewissen zu haben, daß er nie eine beantragt hat. Klaus Wolschner
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