: Eine Narbe am Bein und auch eine im Herzen
■ Gericht verlangt Rückkehr einer Dreijährigen. Vor einem Jahr hatte ein Tunesier seine Tochter zu den Großeltern gebracht. Deutsche Mutter hatte ihn danach im Flughafen angefahren
Die Anspannung der 30jährigen Sozialarbeiterin Ute L. entlud sich in einem Tränenstrom, als die Richterin gestern die Entscheidung verkündete: Ihr Noch-Ehemann, der Tunesier Monji L., wurde dazu verpflichtet, die gemeinsame Tochter Chahrazad bis zum 15. April nach Deutschland zurückzubringen. Wenn der Vater das nicht tut, wird das vorläufig eingestellte Strafverfahren gegen ihn wegen Kindesentziehung und Körperverletzung wieder aufgerollt.
Über ein Jahr lang hat Ute L. verzweifelt um die dreieinhalbjährige Tochter gekämpft. Monji L. war mit dem Kind am 13. Januar 1997 nach Tunesien gereist und hatte ihr von dort aus telefonisch mitgeteilt, daß Chahrazad bei den Großeltern aufwachsen werde. Als der Mann wenige Tage später tatsächlich allein am Flughafen Tegel eintraf, waren bei Ute L. die Sicherungen durchgebrannt. Sie raste mit ihrem Pkw durch eine große Scheibe in der Eingangshalle auf ihren Ehemann zu. Das jener nur einen Trümmerbruch an einem Bein erlitt, war einer im Wege stehenden Heizung zu verdanken. Ute L., die von einem Unfall spricht, erwartet deshalb demnächst ein Prozeß wegen versuchten Mordes. „Er hat eine Narbe am Bein. Ich habe eine Narbe im Herzen“, sagte Ute L. gestern mit dem Hinweis, daß sie die kleine Chahrazad bis heute nicht wiedergesehen habe.
Das letzte Lebenszeichen des Kindes war ein sehr kurzes Telefonat im vergangenen Frühjahr. Die tunesischen Großeltern haben mittlerweile die Telefonnummer geändert. Besuche zu dem Kind scheiterten daran, daß die Mutter seit dem Vorfall am Flughafen Tegel unter Meldeauflagen steht und keine Reisegenehmigung vom Gericht bekam.
Was Ute L. passiert ist, ist in binationalen Ehen kein Einzelfall. Wenn die Beziehungen zu Bruch gehen, haben insbesondere Männer muslemischen Glaubens ihre Kinder schon mehrfach in ihr Heimatland entführt und damit dem Zugriff der Mutter entzogen. Daß der Mutter, so wie bei Ute L., in Deutschland das Sorgerecht zugesprochen wird, interessiert die Behörden der arabischen Staaten nicht. Die einzige Chance, das Kind zurückzubekommen, ist, daß der Ehemann einlenkt – oder eine nicht ungefährliche Rückentführung.
Die im Beratungszentrum für ausländische Mitarbeiter tätige Sozialarbeiterin hatte den illegal in Berlin lebenden Monji L. in einer Sprechstunde kennengelernt. „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Beide heirateten schnell. Zunächst sei Monji L. ein „großer Kavalier“ gewesen, so Ute L. Nach der Geburt von Chahrazad hätten sich jedoch die Probleme gehäuft: „Er hat alles bestimmt.“ Nachdem sie und ihr Sohn aus erster Ehe mehrfach von Monji L. geschlagen worden seien, habe sie den Mann eigentlich verlassen wollen. Aber mit zwei Kindern habe sie nicht gewußt wohin. Außerdem habe sie große Angst vor dem gehabt, was schließlich eintrat: daß er Chahrazad entführt.
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, aber seit gestern hat Ute L. zumindest wieder Hoffnung. Die beiden Noch-Eheleute erklärten sich bereit, daß Chahrazad nach ihrer Rückkehr bei Monji L. wohnen wird, die Mutter das Kind aber zweimal in der Woche besuchen darf. Plutonia Plarre
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen