: Warten auf den Stecher von La Palma Von Susanne Fischer
Es gibt ja Kolleginnen, die behaupten, mit Hitler und Röhm nach La Palma gereist zu sein. Ich dagegen weilte bloß mit Frau M. und Herrn S. auf dieser Insel. Bereits im Flugzeug sammelte Frau M. alles ein, was „für umsonst“ war, wie sie sagte. Auch wir sollten ihr unsere Sekt-Pikkoloflaschen zur Verfügung stellen. Nachher war ihr dann wieder schlecht, und sie bedauerte nicht länger, den selbstgemachten Kartoffelsalat daheim vergessen zu haben, den sie eigentlich aus einer Kotztüte löffeln wollte, während sie im Flugzeuggang lustwandelte. Herr S. sagte lieber nichts.
Zwar sei das mit Hitler und Röhm gelogen oder jedenfalls „nicht völlig wahr“, aber gleich nach der Ankunft wolle sie mir den „Stecher von La Palma“ zeigen, versprach Frau M. Der warte auf dem Marktplatz von Los Llanos auf niedliche, kleine Touristinnen. Notfalls warte er aber auch mal auf nicht so niedliche, übermittelgroße, ergänzte Frau M. hastig mit einem Seitenblick auf mich. Und ob ich vielleicht ihren Kartoffelsalat gesehen hätte.
Auf dem Marktplatz von Los Llanos hockten viele bleichgesichtige Deutsche, die den Kellner im Straßencafé mit einem gewandten „Gutntach ein Mölchkaffe“ begrüßten. Das ist spanisch für „Ich bin ein Arschloch“ und wird weltweit verstanden. Der Stecher von La Palma war nirgendwo zu entdecken, obwohl ich einige Kandidaten für den Posten sichtete, die sich aber alle als „der Hajo aus Detmold“ entpuppten, während der Stecher doch ein echter Spanier sein sollte. Vielleicht war er touristinnenmäßig gerade ausgelastet. Herr S. sagte lieber nichts.
Frau M. zeigte uns nun einen nützlichen Laden, in dem keine Ware mehr als 150 Peseten kosten sollte. Manchmal frage ich mich, ob irgendwas, das sich im Besitz von Frau M. befindet, mehr als 150 Peseten gekostet hat, wenn es nicht sowieso alles für umsonst war. Frau M. erstand einen todschicken Sonnenhut, der nach dem Modell eines Blumentopfes gearbeitet war, bloß in Weiß. „Das ist meine verrückte Tante, die ich nicht allein zu Hause lassen darf“, erklärte ich vorsichtshalber der Verkäuferin. „Gar nicht wahr, die da ist meine Mutter!“ konterte Frau M. nicht ungeschickt. Die Verkäuferin entgegnete stoisch „Gutntach ein Mölchkaffe“ (spanisch für „Du bist ein Arschloch“) und warf noch „Gut slafen!“ nach, obwohl es gerade erst elf Uhr geschlagen hatte, während Herr S. lieber gar nichts dazu sagte. Ich hatte zehn Paar Babysocken gekauft, weil ich erstens überall Babysocken kaufe und zweitens nicht verstanden hatte, daß zwar ein Paar 150 Peseten kostete, zehn Paare aber dann schon 1.500 Peseten. Hätte Frau M. zehn von den Hüten genommen, hätte sie bestimmt noch Geld dazubekommen, da bin ich so was von sicher.
Am Hafen von Tazacorte trafen wir schließlich ein Vorstandsmitglied des Wahrheits-Clubs, das aussah, als ob es gerade die Clubkasse in Mölchkaffe und Cognak anlegte. Ich will nicht verraten, um wen es sich handelt, aber er kann am besten von allen Vorstandsmitgliedern Palmen zeichnen. Dummerweise hatte ich mein Club-Abzeichen nicht dabei, was mehrmals 150 Peseten kostete. Ich versuchte, Frau M.s Hut in Zahlung zu geben, und verursachte so den berühmten Tumult von La Palma, zu dem am Ende nur Herr S. gar nichts beigetragen hatte.
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