Banker im lila Stern

■ Marla Glen erweichte viele Herzen im Pier 2

Die vier schweren Tracker vor dem Pier 2 ließen es bereits vermuten. Eine Menge Menschen würden wohl die Bühne bevölkern, um das fragil-pathetische Klangbild der Marla Glen zusammenzufitzeln. Und tatsächlich: Zehn Musiker wurden es dann. Man könnte aber auch sagen zwölf, weil sich Marla Glen manchmal entfesselt in der Mundharmonika verbiß oder versonnen über Gitarrensaiten strich. Man könnte aber auch sagen 22, weil im Keyboard mindestens ein zehnköpfiges Streicherensemble untergebracht worden sein muß.

MTV-Videos lügen nicht. Genauso wie im TV erwies sich Marla Glen live (übrigens schon im Winter 1996 in Bremen) als charismatisch, weil sie nämlich jedes offensichtlich-charismatische Auftreten schön bleiben läßt, dieses im Popgeschäft aber selten ist – also charismatisch sein muß. Und weil man sich solche Zurückhaltung nur mit genialen Stimmbändern leisten kann. Diese zerzausten, knotigen, faserigen Bänder sabotieren die herrschenden Geschlechterrollen ebenso wie Marla Glens Banker-Outfit mit hochgekrempelten Ärmeln. In der Bandkonfiguration allerdings dürfen diese Rollen fröhliche Urständ feiern. Zwei nette Mädels lassen ihre Knie- und Ellbogengelenke mal entspannt, mal müde im Beat pendeln und wippen. Außerdem müssen sie manchmal anstelle der unsichtbaren Zwerggeiger im Keyboard oder der sichtbaren Bläser Höhepunkte durch ihren Gesang unterstreichen. Die Instrumente in der Band der bekennenden Lesbe aber sind den Männern vorbehalten. Kurios. Bei soviel Bravheit auf der Bühne stellt sich die Frage, warum die 38jährige, die durch den C & A-Jingle „Believer“bekannt wurde, einst von Harald Schmidt als „Sünderin von Chicago“gerühmt wurde. Nach vier winzigkleinen (0,4 l !) Bieren drehen sich die Spekulationen dann eher um Marla Glens entzückenden Vorbiß: Wäre dieser Gaumen in jungen Jahren von Zahnspangen gefoltert worden, gäbe es dann heute diese euphorisch (wie Zimtkaugummi) gekauten, gequetschten Vokale? Oder: Wurden durch Zahnspangen schon Karrieren vernichtet?

Diese Energie in der Behandlung der Buchstaben und Worte über Ungerechtigkeit und Verlust der Liebe versucht Marla Glen zunächst in kleinen, möglicherweise englischsprachigen Zwischenansprachen nach außen zu tragen. Klar war uns, dem Publikum, aber nur, daß sie neckisch gemeint waren. Weil ein angemessenes Feedback ausblieb, besann sich Marla Glenn dann doch auf den eigenen Körper, insbesondere den Hals. Den warf sie ungestüm um 180 Grad in beide Richtungen. Passend dazu zuckten in einem Lied weiße Scheinwerfer – immer beim Wort „baby“. Ansonsten zauberten die Lichtregisseure meist statische, monochrome Farbskulpturen. Besonders schön, wenn ein fünfzackiger lila Stern aus Marla herausstrahlte oder Rot und Grün miteinander kämpften. Auch die Bewegungen der Menschen waren eher statisch. Das lag vermutlich am gehobenen Altersschnitt. Dafür blitzten die Augen. Und mancherorts kam es zu leidenschaftlichen Umarmungen. Nur der Mann am T-Shirt-Stand wirkte müde: „Bei dieser Musik kaufen die Fans keine Fan-Shirts.“ Barbara Kern