In der Schweinewelt

■ Durchwachsen: Brechts „Sezuan“jetzt am Goetheplatz

Wenn die Götter uns erscheinen, wird es grundsätzlich. Quasi 'ne Art Berufsmacke: Götter sind wie PhilosophInnen, immer auf der Suche nach dem Einen, dem Wahren, dem Ulitimativen. Oder nach dem Guten in dieser Welt, wie die drei Kindergötter in Wolf-Dietrich Sprengers Inszenierung von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“. Der Anspruch scheint bescheiden dimensioniert: Mit nur einem akzeptablen Exemplar der menschlichen Rasse gäben sich die drei schon zufrieden. Bloß ein einziger wirklich guter Mensch – den zu finden den Göttern jedoch wider Erwarten gewaltige Probleme bereitet. Denn gut zu sein ist schwer, wenn das Geld fehlt, der Magen knurrt und jeder gezwungen ist, dem Nächsten zum Wolf zu werden. Kurzum: Wenn die Welt nunmal so ist, wie sie ist. Aber die Prostituierte Shen Te (Gabriela Maria Schmeide) versucht sich am scheinbar Unmöglichen: Mensch zu sein. Und gut dazu. Es zerreißt sie. Shen Te gebiert in Jekyll-und-Hyde-Manier ihr Alter ego Shui Ta, der als harter Geschäftsmann verteidigt, was die zarte Shen Te am Tag zuvor in selbstzerstörerischer Güte den Bedürftigen gibt.

Bertolt Brechts Parabel über die Unmöglichkeit der Moral unter kapitalistischen Lebens- und Arbeitsbedingungen gehört zu seinen meistgespielten Lehrdramen. Ein Problem für jeden Regisseur, der aufs Neue versucht, dem Stück eine Seite abzugewinnen, die eine Neuinszenierung rechtfertigt. Wolf-Dietrich Sprengers Regiearbeit vermag diesem Anspruch nur in Teilen gerecht werden. Denn zu unentschieden schwankt die Inszenierung zwischen dem Versuch, Brechts Botschaften Aktualitätsbezug zu verleihen, und der Besinnung auf die von diesen Zeitbezügen unabhängige ästhetische Qualität des Brechtschen Textes. Sprengers Inszenierung schreckt vor der Radikalität einer Kresnikschen „Fidelio“-Adaption zurück. Ebenso wie vor der spannenden Aufgabe, offenzulegen, wo Brechts Parabel zeitlose Fragen aufwirft. So aber blieb vieles im Theater am Goetheplatz hohles Zitat. Ghetto-blaster, Rastalocken und billige Kleidung provozieren den Eindruck, Sezuans BewohnerInnen seien die AussiedlerInnen und Flüchtlinge unserer Zeit. Und Achim Römers gewaltiges Bühnenbild unterstützt auf den ersten Blick diese Assoziation. (Wohn-) Container und riesige bewegliche Stahlwände, die unter infernalischem Lärm auf der Bühne immer neue Räume entstehen lassen, verbreiten eine kalte Stimmung. Doch Römer gelingt, woran Sprenger letztlich scheitert. Denn das Bühnenbild erzeugt eine unbestimmt bedrohliche Atmosphäre, ohne sich, wie die Inszenierung insgesamt, in einer halbherzig-vordergründigen Suche nach Zeitbezügen zu erschöpfen.

Dabei ist Brechts zuweilen plakativen Botschaften, Ende der 30er Jahre formuliert, der Bezug zur Wirklichkeit keineswegs abhanden gekommen. Angesichts der weltwirtschaftlichen Realität – und das voluminöse Programmheft müht sich wortreich um die Dokumentation kapitalistischer Abgründe im Zeitalter der Globalisierung – hat die Frage, wie das Gute zu leben sei, ohne vom omnipräsenten Bösen zerschlagen zu werden, von ihrer Brisanz nichts verloren. „Ach, eure Welt ist schwierig“, ruft die (ebenso wie das ganze Ensemble) schauspielerisch beeindruckende Gabriela Maria Schmeide den Göttern in ihrem Schlußmonolog entgegen. „Zu viel Not, zu viel Verzweiflung!“Wie wahr. Und daß solche bitteren Wahrheiten uns zunehmend beiläufig über die Lippen gehen, als wäre es nichts Erschreckendes, was man da sagt, läßt befürchten, daß die Suche nach einem wirklich guten Menschen ähnlich erfolglos wäre wie zu Brechts Zeiten. Die Verhältnisse – sie sind noch immer nicht so. zott

Vorstellungen: heute abend sowie 19. und 28. März, 19.30 Uhr