piwik no script img

Die Fabrikationsstätte als finaler Nicht-Ort

■ Statt Opfer verfallende Architektur: Robert Schneiders Auschwitz-Zyklus

Bilder aus Auschwitz sind auf makabre Weise vertraut: die Baracken. Die Rampe. Der Torbogen mit den Worten „Arbeit macht frei“. Solche Ansichten, zum Symbol der Unmenschlichkeit geworden, lassen jedoch die Historie stillstehen. Das reale Auschwitz – menschenleer, opferleer – hat sich äußerlich längst von seiner ursprünglichen Erscheinung entfernt. Die Baracken verfallen, manche Gebäude sind rekonstruiert.

Der in Freiburg geborene, heute in Hamburg lebende Maler Robert Schneider hat das aktuelle Auschwitz der Ruinen zum Gegenstand eines Zyklus aus 21 großformatigen Kohlezeichnungen gemacht, die jetzt erstmalig in der Evangelischen Akademie gezeigt werden. Schneider ist vor allem mit Bildern in Auflösung begriffener Industrielandschaften bekannt geworden. Nach den Panoramen und Szenarien aus Bitterfeld oder Kattowitz betrachtet und malt er nun Auschwitz als ehemalige Fabrikationsstätte – die elektrischen Zäune, die Gaskammer, die Verbrennungsöfen lassen keinen Zweifel daran, daß hier Vernichtung und Tod produziert wurden.

Der 54jährige erzeugt die Wirkung seiner Bilder nicht mit dem Abbild der Opfer, sondern mit der scheinbar sachlich-distanzierten Beschränkung auf Architektur, auf Trümmer. Fast wie aus einer anderen Realität wirken manche Details: Stockwerkpritschen, Latrinen, die Tür des Krematoriumofens. Man spürt, hier waren einst Menschen, aber mit Leben hat all dies nichts mehr zu tun. Der Raum jenseits des Lagers ist verschwunden, die Hintergründe der Zeichnungen sind leer. Stacheldrahtzäune vor der weißen Fläche, Wachtürme vor dem Nichts: Auschwitz, der letzte Aufenthaltsort im Leben der Opfer, der Ort ihrer Vernichtung und Auslöschung, wird so in den Bildern zur finalen Stätte, zum Nicht-Ort.

Doch die Dimensionen des „Themas“Auschwitz nötigen auch den sonst streng realistischen Maler Schneider zu versteckter Symbolik. So stehen auf einem Bild über den Eisenklappen zur Befeuerung der Verbrennungsöfen – eine Produktionsnummer imitierend – die Daten von Hitlers Machtergreifung und der Wannsee-Konferenz. Auffällig auch die Buchstaben RIW – rückwärts gelesen heißt es WIR: Von hier aus haben Deutsche die Öfen geheizt, und wenn auch den Künstler keine Schuld an dieser Geschichte trifft, bekennt er sich zur Verantwortung dafür, diese Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren. Kay Dohnke

bis 8. Mai, Mo-Do 8-17, Fr 8-12.30 Uhr, Evangelische Akademie, Esplanade 15

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Beiträgen v. Karl Jahnke und Ulrich Arnold, Donat Verlag, Bremen 1998, 48 Seiten, 20 Abbildungen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen