piwik no script img

Naiv und gefährlich

■ Contra: Der Vorschlag in dieser Form enthält zu viele Mißbrauchsmöglichkeiten

In modernen Demokratien ist repräsentative Willensbildung unverzichtbar. Gleichzeitig verlangen die BürgerInnen immer stärker nach unmittelbarer politischer Beteiligung. Das ist gut so! Plebiszite schaffen starke Legitimation; aber gerade deshalb müssen sie gegen Mißbrauch gefeit sein.

Das Hamburger Volksbegehren ist zwar gut gemeint, jedoch manchmal in dieser Hinsicht arglos: Wie werden beispielsweise die drei von der Volksinitiative „benannten Vertrauensleute“(Art. 50 Hamburger Verfassung), die großen Einfluß im Verfahren besitzen, ausgewählt und kontrolliert? Wer ist in welcher Weise an der Formulierung der Fragestellung, über die das Volk entscheiden soll, beteiligt? Warum wird nur das Konfliktfeld Staat - Bürger gesehen, nicht auch das manchmal viel kontroversere zwischen verschiedenen Bürgergruppen? Wie werden Ungleichgewichte (z.B. finanzieller und massenmedialer Art) zwischen diesen eingedämmt? Nirgendwo eine präzise Antwort!

Dafür wird auf ein Quorum, also eine Mindestzahl von Abstimmenden, verzichtet – sozusagen auf die letzte Hürde gegen mögliche Mauscheleien. Die offizielle Begründung: „Uninteressierte und Boykotteure sind nicht diejenigen, die in einer Demokratie das Sagen haben dürfen.“Abgesehen von der hier ausgedrückten und ärgerlichen Intoleranz gegenüber solchen Menschen, die aus welchen Gründen auch immer der Politik ferner stehen, können sich die Initiatoren offenbar nicht vorstellen, daß andere als ausschließlich demokratisch Wohlmeinende diese Instrumente je in die Hand nehmen werden. Schön wär's. Hier ist dringend Nachbesserung geboten; denn in dieser Form ist der Vorschlag naiv und damit gefährlich.

Sollte das Volksbegehren keinen Erfolg haben, müßte man deshalb aber noch lange nicht auf stärkere unmittelbare politische Beteiligung der BürgerInnen verzichten: Es gibt nämlich heute eine Reihe von Verfahren, die ungleich billiger sind, dabei besser kontrollier- und nachvollziehbar und mindestens so innovations- und effizienzsteigernd, dazu in ihrem Zeitansatz viel knapper und damit (re)aktionsfähiger als der Dinosaurier „Plebiszit“. Erwähnenswert sind z.B. das Verfahren „Planungszelle/Bürgergutachten“, das „Mehrstufige dialogische Verfahren“oder auch Mediationen.

Mein Vorschlag: Laßt dieses Volksbegehren ruhig scheitern; widmet Euch inzwischen verstärkt solchen flexibleren Verfahren und legt, bereits mit deren Hilfe, später einen neuen Vorschlag vor, der keine so gefährlichen Mißbrauchsmöglichkeiten mehr in sich trägt. Dann werde auch ich auf der „Pro“-Seite stehen.

Denn parlamentarische Entscheidungen und Plebiszite, dazu die genannten modernen Beteiligungsverfahren schließen sich nicht aus, sondern sollten sich ergänzen.

Prof. Wolfgang Gessenharter

(Universität der

Bundeswehr Hamburg)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen