: Vom roten zum sozialen Wedding
■ Was tun gegen Armut in den Innenstadtquartieren? Am Wochenende präsentierte sich das Kommunale Forum Wedding als innovativer Ideengeber und Moderator sozialer Netzwerke
Das Szenario ist düster: wegziehende Familien, steigende Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Sozialhilfe. Ohne Zweifel – der Wedding gehört nicht zu den bevorzugten Quartieren. Und die Probleme werden größer. „Von den Zuzügen“, weiß Andreas Kapphan, der derzeit mit dem Stadtsoziologen Hartmut Häußermann eine Studie zur sozialen und räumlichen Veränderung in Berlin bearbeitet, „kommen zwei Drittel direkt aus dem Ausland“. Je größer aber die Sprachprobleme, desto geringer die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt.
Seitdem in der Häußermann- Studie von der Herausbildung von Problemkiezen die Rede war und seit der Vorlage des neuen Sozialstrukturatlasses der Sozialverwaltung ist Armut in den Innenstadtquartieren zum Thema geworden. Das betrifft nicht nur den Wedding mit seinen Problemkiezen „Sparrplatz“ und „Soldiner Straße“. Doch anders als in Kreuzberg, Neukölln oder Schöneberg-Nord reagiert man an der Panke auf die Not mit einer gewissen Tugend. „Lokale Partnerschaft“ heißt das Stichwort, mit dem man in den Problemkiezen nicht nur soziale Netze stärken und Selbsthilfe fördern, sondern vor allem die lokale Beschäftigungspolitik aktivieren möchte. Eine erste Bilanz dieser Arbeit stellten das Kommunalpolitische Forum Wedding und die lokale Agenda 21 am Samstag auf einer kommunalpolitischen Konferenz vor.
Beispiel Sparrplatz: Laut Häußermann-Gutachten ist das Gebiet zwischen Nordufer, Föhrer- und Müllerstraße, in dem etwa 15.000 Menschen leben, von einer hohen Bevölkerungsdichte, Überbelegung der Wohnungen und einer „Nutzung öffentlicher Räume durch türkische Jugendliche und Alkoholiker“ charakterisiert. Für Willi Achter vom Kommunalen Forum Wedding, einem Zusammenschluß zahlreicher Gruppen und Initiativen zur Verbesserung der lokalen Beschäftigungspolitik, war deshalb ein „integriertes Handlungskonzept notwendig“. Auf vier Ebenen begleitet das Forum nun die Arbeit rund um den Sparrplatz. Die Stichworte heißen: Selbsthilfe und Zusammenhalt, Beschäftigung am Ort, Mobilisierung und Mitwirkung sowie Kooperation lokaler Akteure. Zu den Aktivitäten, die vom Kommunalen Forum unterstützt und koordiniert werden, gehört nicht nur die Herausgabe einer Kiezzeitung oder die Betreuung eines Tauschrings, sondern auch der Aufbau von Beschäftigungsgesellschaften für personennahe Dienste, etwa in der Altenpflege.
Liegen hier noch Ähnlichkeiten mit der traditionellen Gemeinwesenarbeit etwa des Vereins SO 36 in Kreuzberg auf der Hand, finden sich Unterschiede vor allem im Selbstverständnis des Kommunalen Forums als „intermediärer Organisation“, das heißt als Moderator der lokalen Initiativen. Auch, und darauf legte Forums-Mitstreiter Achter am Wochenende Wert, begreife man sich nicht als Zuwendungsempfänger des Senats, sondern suche selber nach Mitteln. Mischfinanzierung heißt das Zauberwort, ein Geldmix aus Beschäftigungsfördergeldern, ABM-Mitteln, staatlichen Zuschüssen und Sponsorengeldern.
Damit erfüllt das Kommunale Forum, das seit einigen Monaten auch in der Weddinger Soldiner Straße tätig ist, genau die Kriterien, die Häußermann und Kapphan in ihrer Studie als Aufgaben solcher Moderatoren-Organisationen für eine künftige „soziale Stadterneuerung“ genannt haben. Doch trotz wohlwollender Zustimmung, die dem Weddinger Modell am Wochenende von Politikern aller Parteien zuteil wurde, zeigte sich, daß man in Berlin von einer sozialen Stadterneuerung, wie sie sich etwa in Hamburg im Programm „Armutsbekämpfung“ ausdrückt, noch weit entfernt ist. Das betrifft sowohl die Finanzierung durch das Land als auch die „Bereitschaft vieler lokalen Akteure, von der liebgewonnenen Anspruchshaltung der achtziger Jahre Abstand zu nehmen“, wie es ein Teilnehmer sagte. Uwe Rada
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