■ Mit nur einer Stimme Mehrheit hat die bündnisgrüne Basis auf der Bundesdelegiertenkonferenz den Antrag des Parteivorstands zum Bosnien-Einsatz der Bundeswehr abgelehnt und der neuen Zuversicht beim Führungspersonal einen Schlag versetzt
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Mit nur einer Stimme Mehrheit hat die bündnisgrüne Basis auf der Bundesdelegiertenkonferenz den Antrag des Parteivorstands zum Bosnien-Einsatz der Bundeswehr abgelehnt und der neuen Zuversicht beim Führungspersonal einen Schlag versetzt

Rotz-grün ist die Basis

Wer am späten Freitag nachmittag den Weg zur Bördelandhalle am Rande Magdeburgs sucht, um über die Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen zu berichten, den erwartet vor seinem Hotel der kostenlose „VW- Presse-Shuttle“. Ein Schalk, wer darin eine hintersinnige Geste des Koalitionspartners in spe, VW- Aufsichtsrates und „Automannes“ Gerhard Schröder erkennt.

Wer dann die Bördelandhalle betritt, dem schaut Joschka Fischer entgegen, auch wenn es bei den Bündnisgrünen über des rechte Maß des Plakatierens ihres Fraktionsvorsitzenden in den Tagen nach der Niedersachsen-Wahl und vor dem Parteitag zu Auseinandersetzungen gekommen war. Bereits am Dienstag waren Stimmen in der Bundestagsfraktion laut geworden, den grünen Wahlkampf stärker auf Joschka Fischer zuzuschneiden. Die Kontroverse Schröder – Kohl, so faßte Parteisprecherin Gunda Röstel zu Beginn des Parteitages die Befürchtungen zusammen, „lenkt den Wahlkampf weg vom Programm hin zu den Kandidaten“. In einem zugespitzten Personenwahlkampf, so meint auch Ralf Fücks, drohen die Grünen mit ihrem umfangreichen Wahlprogramm unterzugehen. Der Vorstandssprecher der Böll-Stiftung spürt in seiner Partei „eine tiefsitzende Unsicherheit, was Grün bewirken kann“. Da können starke Persönlichkeiten Zuversicht verschaffen.

„Die Partei will es wissen, selbst die Linken wollen gestalten“, drückt die Abgeordnete Andrea Fischer das neue Selbstgefühl aus. Dieser Gestaltungsanspruch geht sogar soweit, daß die Bündnisgrünen bereits die Verhandlungskommission beschließen, die nach einem Wahlsieg aktiv werden wird. Was liegt da näher, als zu tun, wovor Joschka Fischer nachdrücklich warnt: „das Fell des Bären zu verteilen, solange dieser noch brummt.“

Da macht sich der eine oder andere am Rande schon mal so seine Gedanken um dessen Verteilung. Joschka Fischer Außen- und dafür Jürgen Trittin Umweltminister, dann würde Rezzo Schlauch ja Fraktionsvorsitzender werden können – solche und ähnliche Spekulationen am Rande lockern die Antragsberatungen auf.

Mit der Niedersachsen-Wahl hat sich aber auch die Angst breitgemacht, daß die Macht doch noch im letzten Augenblick entgleiten könnte. Denn auch wenn es Joschka Fischer als Sieg verkauft, das Ergebnis der Landtagswahl war für die Grünen schlecht. Die Sicherheit, daß der grüne Erfolg unaufhaltsam ist, sei erschüttert, meint Fücks. „Einen Warnschuß zur rechten Zeit“ nennt Trittin das Ergebnis. Der Einbruch habe die Leute nervös gemacht.

Der Sieg Schröders hat für die Grünen zudem eine Gefahr heraufbeschworen, die Fischer „Jusoisierung“ nennt. Der SPD-Kanzlerkandidat versuche die Grünen an den linken Rand zu drängen, meint der hessische Landesvorstandssprecher Tom Koenigs. Schröder sorgt für die Mehrheit in der Mitte, und die Grünen beackern das linke Feld – in diese „strategische Falle“, so warnt auch Fücks, dürfe sich die Partei nicht locken lassen.

Die Grünen will Koenigs „als gestaltende Kraft“ sehen und nicht als linke Korrektureinheit eines vermeintlich rechten Schröder. Deshalb sollen Wirtschafts- und Arbeitsmarktkonzepte und Sozial- und Steuerreform im Vordergrund stehen. Hier haben die Grünen in den letzten Jahren Beachtliches erarbeitet – allein es wird öffentlich kaum wahrgenommen. Kompetenz, das hat die Wahl in Niedersachsen noch mal ergeben, wird ihnen im Umweltschutz, nicht jedoch auf den anderen Feldern zugeschrieben. Um diesen Mangel zu beheben, so Fücks, muß im Wahlkampf „eine Riege von Leuten sichtbar werden, die die Themen verkörpern“, potentielle Regierungsleute. Allen voran Joschka Fischer.

Daß er schon lange inoffizieller Spitzenkandidat ist, unterstreicht der bei seinem Auftritt am Samstag mit einer kurzen, mitreißenden Rede. Daß er kein offizieller Spitzenkandidat sein will, stellt er in dieser Rede klar, wohl wissend, daß er andernfalls eine monatelange Personaldiskussion riskieren würde. „Ihr werdet aus mir keinen Gerhard Schröder hinbekommen“, bescheidet er den Delegierten und beendet damit, was sein Dauerkonkurrent Trittin bereits vorab „eine dümmliche Debatte“ nannte.

Das Vertrauen in das eigene „ökologische und soziale Reformprojekt“, das Fischer verbreitet, wiegt die Delegierten am Samstag in Zuversicht – bis 23.15 Uhr. Zu dieser späten Stunde läßt das Präsidium die Haltung der Partei zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr abstimmen. Das Ergebnis verwandelt binnen Minuten die dritte politische Kraft, die auch in die gesellschaftliche Mitte einbrechen will, in den flügelschlagenden Haufen, als der sie sich ehedem präsentierte.

Mit 275 zu 274 Stimmen lehnten die Delegierten den Antrag des Bundesvorstandes ab, im Wahlprogramm die generelle Ablehnung von friedenserzwingenden Einsätzen durch einen Passus zu ergänzen, mit dem der Einsatz in Bosnien als Ausnahme von dieser Regel gewürdigt wird. Die Kompromißformel war erst zwei Tage zuvor zwischen Realos und gemäßigten Linken gefunden worden, Fischer und Trittin hatten ihren Segen gegeben. Allein die Partei hielt sich nicht daran.

Ratlose und wütende Gesichter erschienen daraufhin am Rande des Podiums. Die Partei habe nun ein Programm, das mit der Realität nichts zu tun habe, ereifert sich Andrea Fischer, mit ihrer tränentreibenden Wut kämpfend. Das Kompromißpapier sei eine Öffnungsklausel für weitere Einsätze, hält ihr trocken der europapolitische Mitarbeiter Albert Statz entgegen. Der meist joviale Rezzo Schlauch bebt vor Ingrimm, es sei Aufgabe des Vorstandssprechers, der den Kompromiß ausgehandelt hat, dafür auch einzustehen. Auch bei den Siegern der Abstimmung macht sich Erschrecken über die Wirkung breit. Wenn der Antrag des Vorstandes klarer formuliert worden wäre, konstatiert die verteidigungspolitische Sprecherin Angelika Beer selbstlos, hätte er womöglich eine Mehrheit gefunden. In der Tat hatte sich der Vorstand aus seiner programmatischen Bredouille gerettet, indem er einfach den friedenserzwingenden Einsatz in Bosnien zu einem friedenserhaltenden umdefinierte. Womit zwar der Programmlage, nicht jedoch dem UN-Recht Genüge getan wurde. Diese Schummelei, meint auch Christian Ströbele, habe die Delegierten irritiert. Der Berliner Anwalt hatte mit dem Friedenspolitiker Uli Kremer die Ablehnungsfront angeführt. Kremer hatte gar dem sofortigen Abzug von Nato und Bundeswehr aus Bosnien das Wort geredet. „Das kostet uns Prozente“, stöhnte nicht nur Rezzo Schlauch. Gemeinsam bemühten sich Fischer und Trittin bei Ströbele und Kremer um Schadensbegrenzung. Zuvor hatten von Beer bis Schlauch alle Abgeordneten deutlich gemacht, daß sich die Fraktion an das Votum des Parteitages nicht halten werde. Fragt sich nur, wie der Bundesvorstand darauf reagiert. Trittin hat schon bei früherer Gelegenheit deutlich gemacht, daß es nicht seine Aufgabe sei, im Sinne einer eifernden Glaubenskongregation über die Fraktion zu wachen. Dieter Rulff, Magdeburg