: „Ein zahnloser Tiger“
■ Die erste Bremer Petition zur Verfassungsänderung wurde vor 150 Jahren eingereicht / Grüne fordern Gesetzesänderung: Der Petionsausschuß soll gestärkt werden
Recht haben und recht bekommen sind zweierlei – das gilt heute wie vor 150 Jahren. Am 7. März 1848 unterschrieben 2.064 Bürger die erste Petiton an den Bremer Senat. Gleichheit vor dem Gesetz, ein Petitionsrecht, Abschaffung der Todesstrafe, Pressefreiheit, öffentliche Gerichtsverhandlung und das Eintreten für ein deutsches Parlament, standen unter anderem in dem Forderungskatalog der Petenten. Als sie zu Hunderten auf den Bremer Marktplatz zogen, gab der Senat nach und änderte am 5. März 1849 die Verfassung.
Gestern gedachte Bürgerschaftspräsident Reinhard Metz (CDU) der ersten erfolgreichen Bremer Petition im Rahmen einer Feierstunde. Doch rechte Feststimmung mochte nicht aufkommen. „Der Petionsausschuß ist ein zahnloser Tiger“, schimpfte Christine Bernbacher, grüne Bürgerschaftsabgeordnete und Mitglied im Petitionsausschuß. „Unpolitische Entscheidungen laufen glatt durch, aber immer wenn es tatsächlich um etwas geht, wie zum Beispiel Asylrecht, haben wir keinen Spielraum.“Reinhard Bockhofer, von der Vereinigung zur Förderung des Petitionsrechs, schlug in die gleiche Kerbe. „Wenn's brenzlig für die Regierenden wird, stimmen die Mehrheitsfraktionen im Petitionsausschuß nach parteipolitischen Gesichtspunkten ab. Sie legen ungern die Rolle ab, ihrer Regierung den Rücken freizuhalten.“Die Grünen haben gestern deshalb einen Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die Behandlung von Petitionen eingerichtet-. Der Petitionsausschuß soll künftig, soweit es in einem Gerichtsverfahren zum Beispiel um die Entscheidung einer Behörde geht, eine Änderung der Ermes-senspraxis empfehlen können – gerade für Asylbewerber ein neuer Hoffnungsschimmer.
„Schildern Sie kurz, wo Sie der Schuh drückt, worüber Sie sich beschweren wollen, was nach Ihrer Meinung nach schlecht gelaufen oder falsch entschieden worden ist“, ermuntert eine Broschüre Bremens BürgerInnen, sich bei den elf Abgeordneten (4 SPD, 4 CDU, 1 AfB, 2 Grüne) des Petitionsausschusses zu beschweren. Der Petionsausschuß erarbeitet eine Stellungnahme, die als Empfehlung an die Bürgerschaft geht, die letztlich über die Beschwerde entscheidet. 108 Petitionen wurden 1996 eingereicht. Doch nicht einmal der Hälfte aller Bittsteller konnte geholfen werden. In 52 Fällen half der Petitionsausschuß – das sind 40 Prozent.
Eine „Erfolgsquote“findet Horst Ochs, Vorsitzender des Petitionsausschusses. „Wir haben verhindert, daß ein Mann in Bremen-Nord sein Gartenhäuschen abreißen mußte“, zog er in der gestrigen Feierstunde Bilanz. Außerdem habe ein Behinderter dank des Ausschusses ein besonderes Rehabilitationsfahrrad bekommen.
Die Frage, ob der Petitionsausschuß ein zahnloser Tiger sei, läßt den AfBler zusammenzucken. „Naja“, räumt Ochs ein. „Bei den Asylsachen wird es natürlich wirklich schwer. Wir können geltendes Recht schließlich nicht ändern.“
Übrigens: Letztlich war auch der Petition von 1848 kein Erfolg beschieden. Nachdem der Senat zunächst eingewilligt hatte, die Verfassung zu ändern, wurde der Beschluß 1852, drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten, wieder aufgehoben. Ein Achtklassenwahlrecht wurde eingeführt, das bis 1918 galt. Recht bekommen und behalten sind halt zweierlei.
kes
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