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■ VorschlagZurück zu neuer Ehrlichkeit: Karate und Brüllen auf der Insel

Ganz langsam, vorsichtig und bedächtig erobert sich die Gitarre in letzter Zeit verlorenes Terrain zurück. Überraschenderweise allerdings nicht in den Grenzbereichen zur elektronischen Musik, wie sie Tortoise und andere erforscht haben, sondern auf dem ureigensten Gelände des so altmodischen Bandzusammenhangs. Einem übergeordneten Konzept, das sich in beats per minute messen läßt, setzen June of 44, Mogwai oder eben auch Karate das relativ freie Spiel der Kräfte entgegen. Zwei Gitarren, ein Baß, ein Schlagzeug, die klassische Besetzung eben, spielen miteinander, gegeneinander und auch aneinander vorbei.

„Wir sind aufgewachsen mit lauten, ernsthaften, weißen Bands aus der Mittelklasse, die noch auf Vinyl veröffentlichten und zusammen abhingen“, erzählt Geoff Farina, Sprachrohr des Quartetts aus Boston, Massachusetts, „wir haben keine Ahnung, wie man eine Band sonst betreibt.“ Und im nächsten Atemzug weist Farina die Vorstellung von sich, Karate und ihr gemütlich auf- und abschwellender Rock seien hintergründig oder gar ironisch gemeint. Statt dessen doziert der gute Mann gern mal über seinen Gitarrensound, den er möglichst unverzerrt hält, weil ihm die prinzipiell überladenen Gitarren der letzten Jahre auf die Nerven gehen. Mit Hilfe uralter Taschenspielertricks wie Laut-leise-Kontrasten, elegischer Melancholie und kantiger Zickigkeit zerren Karate das Genre zurück zu einer neuen Ehrlichkeit, die auch vor den häßlichen Seiten des Rock nicht zurückschreckt. Der König hat seine neuen Kleider gesehen und zieht sich nun doch lieber wieder die alten Klamotten an.

Brüllen hingegen hantieren vor allem mit den gemeinen Seiten der Chose; die forschen sie dafür aber besonders gründlich aus. Bei ihnen sind Songs nicht etwas, worauf man sich freut, sondern eher unverdauliche Brocken, die sich einem ungefragt in den Weg legen. Dabei hat Kristof Schreuf mit seiner Kolossalen Jugend vor fast einem Jahrzehnt die Initialzündung für den Deutschpop, der als Hamburger Schule Geschichte machen sollte, abgeliefert. Sein Trio Brüllen hört sich an, als fühlte er sich höchstpersönlich für die poppigen Auswüchse verantwortlich und müßte nun dagegen anspielen und Abbitte leisten. Widerborstig quietscht die Gitarre, tapfer tappert das Schlagzeug, und Schreuf meckert konsequent reimlos und ohne viel Flow wie eine angestochene Ziege: „Ich sag' es jedem, ich werd' nicht gut unterhalten, deshalb halte ich mich nicht gut aus.“ Manches muß eben mal gesagt werden. Thomas Winkler

Heute um 21 Uhr, Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

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