: Der Alptraum der Grünen
An keiner Frage ernten die Grünen soviel Widerstand wie beim Benzinpreis. Das Paradox: Die Spritsteuer wird letztlich billiger, als viele der Kritiker denken ■ Aus Berlin Matthias Urbach
Da zeigten sie wieder alle auf den alten grünen Bürgerschreck: „Benzin 5 DM, Tempo 100, Hasch frei, Nato auflösen – Grüner Alptraum“, titelte die Bild, aber auch die übrigen Medien stießen sich an so mancher grüner Forderung. Neben der Ablehnung friedenserzwingender Bundeswehreinsätze erhitzt vor allem eine Forderung die Gemüter: Die leidigen fünf Mark Spritpreis. „Quatsch“, urteilt auch der SPD-Kanzlerkandidat und Automann Gerhard Schröder, und selbst manch Grüner fürchtet, das am Wahlkampfstand kaum vermitteln zu können.
An keiner anderen Frage lassen sich die Grünen leichter als angebliche Ökospinner vorführen als beim Spritpreis. Dabei stehen sie mit ihrer Forderung nicht allein. Selbst Hans-Jürgen Ewers erklärte bereits für den Sachverständigenrat der Bundesregierung zu Umweltfragen, daß der Benzinpreis auf über fünf Mark steigen müsse, wenn Kanzler Kohl sein Klimaschutzziel erreichen wolle. Das gewiß nicht als Ökowiege verdächtige ifo-Institut berechnete im Auftrag des Verkehrsministeriums, daß ein Benzinpreis von drei Mark bis 2005 der Wirtschaft nicht schade, sofern die Mehreinnahmen etwa über die Senkung der Einkommenssteuer zurückfließen. Genau das haben die Grünen vor. Sie wollen die Einnahmen aus einer höheren Mineralölsteuer zu 90 Prozent über Einkommenssteuererleichterungen und gesenkte Lohnnebenkosten an die Bürger zurückgeben. Der Rest soll in Sozialhilfe und Bafög fließen.
Im Detail sieht der grüne Entwurf einen Anstieg des Spritpreises um 30 Pfennig pro Jahr vor. Im ersten Jahr, das wäre frühestens 1999, kämen einmalig 20 Pfennig hinzu – als Ausgleich für die Kfz- Steuer, die die Grünen abschaffen wollen. Bis 2005 wäre der Benzinpreis somit bei rund 3,60 Mark, nur knapp über dem, was das ifo bis dahin als unschädlich erklärt. 2009 erst würde der Spritpreis fünf Mark erreichen.
Dem höheren Spritpreis stünde aber ein deutlich niedrigerer Benzinverbrauch gegenüber. Das Europaparlament hält einen durchschnittlichen Benzinverbrauch von drei Litern bis 2010 für möglich. Erst vor drei Wochen forderte es die EU-Kommission auf, eine entsprechende Richtlinie zu erlassen. Selbst die Automobilindustrie gibt zu, daß sogar ein Zwei-Liter-Mittelklasseauto mit der heutigen Technik machbar sei.
Der heutige Durchschnittsverbrauch liegt bei 8,8 Liter für Ottomotoren – wenn aber die Autos nur noch ein Drittel an Benzin schlucken, wird aus fünf Mark praktisch 1 Mark 70. Zieht man noch die Inflationsrate ab, ist das nicht teurer als heute. Doch sparsamere Autos wird es erst durch den Druck einer Ökosteuer geben.
Die Werbeagentur der Grünen macht die Debatte nicht bange. Zwar gebe das jetzt „schlechte Presse“, sagt Moritz Sattler von der Agentur Schirner, aber es habe auch den Vorteil, daß sich die Leute nun mit der Ökosteuer auseinandersetzten. Auch schlechte Werbung ist schließlich Werbung.
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