: Imagegewinn durch Paralympier
Bei den winterlichen Paralympics in Japan zeigt sich ein gestiegenes Interesse von Medien und Wirtschaftsunternehmen am Leistungssport der Behinderten ■ Aus Nagano Jörg Winterfeldt
Bei der offiziellen Verabschiedung des deutschen Winter-Paralympics-Teams erfüllte Theodor Zühlsdorf tiefe Zufriedenheit, als Bundesinnenminister Manfred Kanther seine Worte an das Auditorium richtete. Des Kanzlers Lieblings-Lauschangreifer gestattete sich nämlich nicht nur nette Reisegrüße, sondern sogar die Erwähnung der Sponsoren des Deutschen Behinderten-Verbandes (DBS), dessen Präsident Zühlsdorf seit zwei Jahren ist. Der Top- Funktionär kommt selbst aus der Großindustrie, bearbeitete bis zu seiner Pensionierung im Direktorium des Leverkusener Bayer- Konzerns das internationale Personalwesen und hat daher eine Vorstellung von der Zielsetzung, die ein Sponsor mit seinem Engagement verfolgt.
Eben seine wirtschaftlichen Intimkenntnisse und Kontakte verhalfen Zühlsdorf dazu, daß man ihn 1996 mit Engelszungen anbettelte, die Spitzenposition im DBS zu übernehmen. Der Vorgänger, Reiner Krippner, hatte mit einer einzigen Veranstaltung, der Leichtathletik-WM der Behinderten in Berlin 1994, den Verband mit seinen 280.000 Mitgliedern in unmittelbarste Konkursnähe geführt. Dafür war der Bayreuther Richter mehr oder weniger energisch aus dem Amt getrieben worden, um dem Sanierer Zühlsdorf Platz zu machen, der den Fortbestand sichern sollte.
Während in Nagano seine Sportler kräftig abräumen, gedeiht Zühlsdorfs Verband inzwischen vortrefflich. Vorzeitig bereits konnte man die Hälfte eines langfristigen Darlehens zur Tilgung der 400.000 Mark Schulden abbauen. „Viele Firmen“, fürchtet aber der Alpin-Spezialist Gerd Schönfelder, „finden es vom Image her unangenehm, mit Behinderten zu werben.“ Die Unternehmen ängstigt die Vorstellung, stets an dem sozialen Engagement gemessen zu werden. So überwies etwa die Bundesbahn dem Verband regelmäßig stolze fünfstellige Summen, ohne allerdings als Sponsor genannt werden zu wollen. Als der Bekleidungshersteller Bogner neulich gebeten wurde, als Ausrüster aufzutreten, zog er sich galant aus der Affäre. Er habe plötzlich „astronomische Summen verlangt“, schimpft der deutsche Alpin-Cheftrainer Werner Haberstock. Allmählich jedoch gibt die Wirtschaft ihre Zurückhaltung gegenüber dem Behindertensport auf.
Seit einem Jahr erfährt der DBS Rückendeckung durch ein „Team Deutscher Behindertensport“, in das der weltweit größte Prothesenhersteller Otto Bock, der Automobilkonzern Fiat, der Telekommunikationsdienstleister Talkline sowie seit Januar die Lufthansa insgesamt etwa eine halbe Million Mark jährlich für vier Jahre einbringen. Offensiv wird nun mit behinderten Sportlern für das eigene Produkt geworben. Der Talkline- Chef Dirk Reupke etwa präsentiert die Paralympier an seinem Stand auf der CeBit und begründet das Ende des einstigen Mäzenatentums damit, „daß sich soziale Verantwortung nirgendwo sonst in der Werbung dermaßen gut mit sportlichen Höchstleistungen verbinden läßt wie im Behindertensport“. Die Partner vom italienischen Autoproduzenten hingegen durften bereits Erfahrung sammeln mit der Zwiespältigkeit. Als sie zu einer Fotoausstellung mit künstlerischen Behinderten- Sportfotos in ihre Werbeagentur luden, desavouierte eine Mitarbeiterin die Kampagne als Heuchelei: „Einige in der Agentur finden das gut, andere haben darum gebeten, die Bilder während der Frühstückspause abhängen zu lassen.“
Gleichwohl darf der Verband weiteren Zuwachs erwarten, auch, „weil die Normalbevölkerung sensibler gegenüber dem Thema Behindertensport geworden ist“, beobachtet Coach Haberstock. „Schließlich kann es jedem leicht passieren, daß er einen Unfall hat.“ Noch in diesem Jahr wird der internationale Dachverband IPC sein Hauptquartier aus dem belgischen Brügge nach Bonn verlegen. Auch gab es noch nie zuvor ein ähnliches Medienecho für die Paralympier wie derzeit aus Nagano. Insgesamt sieben Kamerateams filmen für ARD und ZDF, obwohl die Bedingungen miserabel sind.
Für den Verband kommt die Nachfrage einigermaßen überraschend. Jahrelang als Nischenanbieter vegetierend, wird zuweilen die mangelnde Routine offenbar. Als der Vizepräsident Karl Quade im Dezember zu einem Bungee- Jumping-Event seiner Sportler nach Hamburg reiste, um da von einem Sponsor einen 10.000- Mark-Scheck einzukassieren, düpierte er den Spender, indem er das Mißfallen des Verbandes an dessen Spektakel öffentlich kundtat. Zudem sind statt der Sponsor- Team-Mitglieder deren unmittelbare Konkurrenten gebeten worden, Anzeigen im offiziellen DBS- Nagano-Handbuch zu schalten.
In Japan selbst tapst der Pressesprecher Carlheinz Rühl mit seinen gelegentlich schroffen Umgangsformen in so manche Peinlichkeit. Auf dem offiziellen Empfang der Sponsoren behandelte Rühl, inzwischen Betreiber einer Agentur, seit er vor dreieinhalb Jahren überstürzt als Geschäftsführer der Deutschen Sport Marketing GmbH „im gegenseitigen Einvernehmen“ aus dem Amt schied, die anwesenden Gäste wie Kleinkinder. Um 21.45 Uhr schaltete er kurzerhand das Licht aus, weil ihm die Sache zu lange dauerte. Da für den DBS die Verhältnisse ungewohnt seien, räumt Chef Zühlsdorf freimütig ein, „daß wir auch mal Fehler machen“. Gleichwohl ist er sich seiner neuen Pfründe wohlbewußt, so daß ihm schwant, seinen Verband vielleicht bisher zu billig verkauft zu haben. Mit neuen interessierten Sponsoren, sagt Zühlsdorf, „würde ich andere Summen diskutieren wollen als bisher“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen