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■ KolumneUnderground Home Stories

Was wurde eigentlich aus übler Nachrede, dem Ausspionieren von Lebensgewohnheiten, dem Stöbern in Intimitäten, in vertuschten Vergangenheiten, kurz: Was wurde eigentlich aus gutem, altem Klatsch? Nicht erst seit Lady Dianas Ableben haben es Paparazzi schwer. Der Ruf der Klatschreporter-Zunft ist dahin. Jetzt flog sogar Graeter bei der Bunten raus.

Es gab eine kurze Zeit, da galt auch in Underground-Kreisen Klatsch als schick, lustig und vor allem notwendig. Kid P. hatte mit seinen fröhlichen Enthüllungsreportagen in den letzten Ausgaben des seligen Sounds Anfang der achtziger Jahre eine Qualität in den deutschsprachigen Musikjournalismus eingeführt, die man ansonsten nur aus der verehrten britischen Presse kannte. Denn bei aller analytischen Schärfe und hermeneutischen Fertigkeit wird dort auch immer wieder das Interesse des Lesers an der Person des Künstlers befriedigt.

Nach der Einstellung von Sounds nahmen andere Kid P.s Faden auf, etwa das Zeitgeist-Magazin Elaste des späteren Labelbetreibers, Star-DJs und Acid-Jazz-Papstes Michael Reinboth, für das auch Andreas Dorau eine Zeitlang Klatschberichte lieferte (unter Pseudonym, das versteht sich).

Derzeit gelten jedoch die Eitelkeit des Künstlers und das egoistische Interesse an der Zurschaustellung der eigenen Person als zu überwindende Dinge. Deswegen findet auch der Anonymitätskult der Elektronikszene, allen voran das Berliner Techno-Label Basic Channel, soviel Zustimmung. Aber gibt es überhaupt nicht eitle Künstler? Gibt es überhaupt nicht eitle Menschen?

Ich denke, es steckt paradoxerweise oft zuviel Respekt vor vermeintlich großen Künstleregos hinter dem Aussparen der privaten Seite. Plus die ganz reale Angst, sich Schwierigkeiten einhandeln zu können bei nicht genehmer Berichterstattung über die menschlichen Seiten semi-prominenter Musiker – schließlich ist die Szene klein, die meisten Musikjournalisten sind selber Musiker, es könnte einen selbst als nächsten treffen.

Auf diese Weise geht natürlich vieles verloren: Ist die Vita des Künstlers doch oft der Schlüssel zu seinem Werk, wie ich gerade erst wieder erfahren mußte, als mir ein berühmter Pop-Papst den Unterschied zwischen der Musik von Goldie und Vangelis vermittels der unterschiedlichen Biographien der beiden Kitschmeister zu erklären versuchte.

Da es doch aber gerade in Hamburg so viele unterbeschäftigte Journalisten und „Autoren“gibt und in Deutschland nicht gerade Überfluß an interessanten Musikzeitschriften herrscht, schätze ich, daß eine Underground-Bunte eine vielversprechende Geschäftsidee ist. Ein Blatt, das Home Stories druckt, die sexistischen und rassistischen Ausfälle sich progressiv gerierender Untergrund-Wortführer protokolliert, Pseudonyme knackt und uns in die Lebensgewohnheiten unserer Semi-Prominenten einführt, fände sicherlich sehr schnell viele Leser.

Und ein paar Ikonen des Untergrunds verlören schnell einiges von ihrem Glanz.

Detlef Diederichsen

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